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Bitteres Rot

Bitteres Rot

Titel: Bitteres Rot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bruno Morchio
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Grandi.«
    »Olindo?«
    »Der Comandante   …«
    »Du willst mir erklären, wer Olindo Grandi war? Du?« Er lächelte nachsichtig. »Er hat dir nichts erzählt, oder?«
    »Über was?«
    »Über den Deutschen, damals, vor etwa zwanzig Jahren.«
    »Vielleicht hat er es vergessen.«
    Mit einer Geste wischte er meinen Einwand vom Tisch. »Machst du Witze? Olindo hat ein Elefantengedächtnis.«
    »Hat Hessen auch mit ihm gesprochen?«
    Er schüttelte den Kopf, offensichtlich war das aber nicht die Antwort auf meine Frage. Er schien sich vielmehr zu wundern, warum Grandi mir nichts erzählt hatte.
    »Ich rufe dich in den nächsten Tagen an. Wo erreiche ich dich?«
    Ich reichte ihm meine Visitenkarte und bedankte mich. Er begleitete mich zur Treppe und gab mir die Hand. Sein Händedruck war erstaunlich kräftig. Ich hatte den Eindruck, als wollte er sich mit dieser Geste nicht nur von |81| mir, sondern von meiner ganzen Familie verabschieden. Von jedem Einzelnen, der heute nicht mehr am Leben war. Ich war der Letzte in der Reihe, der allein Übriggebliebene einer für immer verlorenen Zeit, dachte ich voller Selbstmitleid. Vielleicht merkte der Alte das, denn als ich die Treppe hinunterging, rief er mir mit seiner rauen Stimme etwas hinterher, das in meinen Ohren verdammt ironisch klang: »Tu mir einen Gefallen, Pagano, und mach die Tür hinter dir zu.«

|82| Mission erfüllt
    Genua, Februar 1944
     
    Sergente Walden lenkte den Wagen durch das Gittertor einer Villa auf den Hügeln von Albaro. Als sie durch den Park fuhren, hörte man den Schotter unter den Reifen wegspritzen, während die Scheinwerfer den Weg durch die tiefschwarze Nacht suchten. Selbst die mächtigen Bäume waren nur schemenhaft zu sehen.
    Sie hatten den Bahnhof von Terralba passiert, die Bahngleise überquert und waren hinter dem Studentenwohnheim abgebogen.
    Als sie das Gebäude wiedererkannte, lief es Tilde eiskalt den Rücken hinunter. Sie fühlte sich beschwingt, weil sie auf dem Fest drei Gläser Champagner getrunken hatte, doch jetzt hatte sie das Gefühl, als hätte man ihr den Boden unter den Füßen weggezogen. Französischer Champagner! Früher durfte sie zu Weihnachten immer von dem Muskateller probieren, den ihr Vater jedes Jahr in der Nähe von Acqui Terme gekauft hatte. Champagner jedoch war etwas ganz anderes, köstlich und prickelnd, mehr als ein Getränk, fast wie eine andere Welt. Alles schien ihr plötzlich rosarot   …
     
    |83| Es war Fliegeralarm und man hatte Verdunklung angeordnet. Das sanfte Kerzenlicht umschmeichelte Tildes Körper, was auch einigen Offizieren nicht verborgen geblieben war. Der große Saal füllte sich nach und nach. Im Halbdunkel wirkten die Gäste wie bizarre Schatten, die sich zu einem Hexensabbat versammelt hatten. Hin und wieder waren Wortfetzen und aufgesetztes Lachen zu hören. Die Soldaten präsentierten ihre mit Kragenspiegel, Adler und Hakenkreuz geschmückten Ausgehuniformen wie eine zweite Haut, die sie unverwundbar zu machen schien. Die anwesenden Frauen konnten unterschiedlicher nicht sein. Die Blonden sprachen deutsch, aber auch die Dunkelhaarigen brauchten keinen Dolmetscher, um zu verstehen, was die Männer von ihnen wollten. Ein Streichquintett umrahmte den Vortrag einer platinblonden Sängerin. Ihre schwermütigen Lieder klangen in Tildes Ohren ganz sanft, auch wenn sie im harten Deutsch der Besatzer gesungen wurden.
    Iolanda hatte Tilde einen hellen Übergangsmantel geliehen, der an den Ärmeln ein wenig abgestoßen war, aber haargenau passte. Wie eine fürsorgliche Mutter hatte sie sich darum gekümmert, dass ihr Schützling für ihren ersten Auftritt auf dem gesellschaftlichen Parkett angemessen gekleidet war. Hochgeschlossene Seidenbluse, dezentes Kostüm mit engem Rock, schwarze Halbschuhe mit flachem Absatz. Wie eine züchtige Italienerin, die zum ersten Mal ausgehen darf.
    Wo war Hessen? Vergeblich hielt Tilde nach seinem blassen Gesicht Ausschau. Sergente Walden allerdings hatte sie in der Menge ausgemacht. Die beiden Frauen waren auf Hessens Adjutanten zugesteuert. Iolanda und Walden plauderten angeregt miteinander. Obwohl Tilde nur wenig verstand, war ihr klar, dass es um sie ging. Ihr nächtlicher Ausflug in die Berge, der Hinterhalt auf |84| der Straße nach Sant’Alberto, das Verhör in der Kommandantur, die kurze Inhaftierung und die abenteuerliche Geschichte mit ihrer Tante. Mitten in der Nacht hatten sie die alte Dame geweckt, um Tildes Alibi zu überprüfen. Ihre Tante

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