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Bitteres Rot

Bitteres Rot

Titel: Bitteres Rot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bruno Morchio
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abgedunkelte Wohnung hatte etwas Weihevolles |96| und erinnerte mich an eine Sakristei. In der Luft lag ein Geruch aus Kampfer und Naphthalin. Die Einrichtung war luxuriös, fast ein wenig protzig. Antike Möbel, Kristalllüster, wertvolle Teppiche auf glänzendem Edelholzparkett und an den Wänden Gemälde aus dem 19.   Jahrhundert, offenkundig Originale von unschätzbarem Wert. Lanza hatte es weit gebracht in seinem langen Leben, augenscheinlich viel weiter als sein Comandante Olindo Grandi. Aus dem Widerstandskämpfer war ein reicher Mann geworden.
    »Nun, Signor Pagano«, begann er und formte blaugraue Rauchringe, »was kann ich für Sie tun?«
    Er siezte mich. Ein weiteres Zeichen dafür, dass er anders war. Auch er musste meine Familie gekannt haben. Oder hatte er die Zeit nach dem Krieg hinter dem Mond gelebt?
    »Vor etwa zwanzig Jahren kam ein Deutscher nach Sestri und hat sich nach alten Widerstandskämpfern erkundigt. War er auch bei Ihnen?«
    Er schien verblüfft, offensichtlich hatte ich ihn auf dem falschen Fuß erwischt. Im Flur hatte er mir erzählt, dass Olindo meinen Besuch schon angekündigt habe. Ich solle ruhig Fragen stellen, da ich mir meine dreitausend Euro ja schließlich verdienen müsse. Aber mit dieser Frage hatte er nicht gerechnet. Sein Gesichtsausdruck erinnerte mich an Kinobesucher, die nach einigen Minuten bemerken, dass sie im falschen Film sitzen.
    »Ein Deutscher?« Er versuchte Zeit zu gewinnen.
    »Der Sohn eines Wehrmachtsoffiziers.«
    »Ich erinnere mich nicht   … Nein, ich glaube nicht.«
    »Komisch, niemand scheint sich an ihn erinnern zu können, nicht einmal Olindo.«
    »Ja, und?«
    »Ganz zufällig habe ich herausgefunden, dass die beiden miteinander gesprochen haben.«
    |97| Hinter seinem aufgesetzten Lächeln konnte er seine Besorgnis nicht verbergen.
    »Olindo ist ein alter Mann«, sagte er betont ruhig, »wie wir alle, die wir noch leben.«
    »Was die Ereignisse von früher angeht, erinnert er sich noch an jedes Detail.«
    »Worauf wollen Sie hinaus?«
    »Ich überlege die ganze Zeit, warum Olindo mir eine so wichtige Tatsache verschwiegen hat. Und da ich schon mal hier bin, dachte ich, ich frage Sie danach.«
    »Woher zum Teufel soll ich das wissen?« Sein Gesicht lief rot an. »Was spielt das überhaupt für eine Rolle?«
    »Erzählen Sie mir bloß nicht, dass Grandi nicht den Grund meines Besuchs erwähnt hat.«
    »Er hat mir nur gesagt, dass Sie kommen würden. Mehr nicht. Vor zwei Stunden hat er angerufen. Ehrlich gesagt, so schnell habe ich nicht mit Ihnen gerechnet. Er hat mich lediglich darum gebeten, Sie bei Ihren Nachforschungen zu unterstützen.«
    »Dann wissen Sie also, dass ich jemanden suche.«
    »Ja, aber mehr auch nicht.«
    Ich war mir sicher, dass er nicht die Wahrheit sagte, das war nicht zu übersehen. Sein von tiefen Falten durchzogenes wettergegerbtes Gesicht war mit roten Flecken übersät, unübersehbares Zeichen seines Unmuts. Bezog sich seine Wut auf meine Aufdringlichkeit? Oder auf den Comandante, der ihn in diese peinliche Situation hineinmanövriert hatte?
    Ada betrat den Raum. Leicht gebückt, ein Tablett mit einer staubbedeckten Flasche und zwei Rotweingläsern in den Händen.
    »Es tut mir leid, dass Sie so lange warten mussten, aber unsere besten Tropfen lagern wir im Keller.«
    Die Flasche war bereits entkorkt. Ada stellte das Tablett |98| auf den Tisch und füllte die Gläser. Der rubinroten Farbe nach zu urteilen, ein guter Jahrgang. Lanza griff nach der Flasche und drehte das Etikett zu sich. Da er schlecht sah, fragte er seine Frau: »Welchen hast du ausgesucht?«
    »Den 1998er Amarone, den gleichen, den du letzten Sonntag aufgemacht hast.«
    »Mein Sohn und die Enkel waren zum Essen da. Sie leben in Mailand und geben uns nur selten die Ehre.« Lanza wirkte verbittert.
    »So ist das eben. Ich fürchte, mit meiner Tochter wird mir das ähnlich gehen«, versuchte ich zu trösten.
    »Sie haben eine Tochter, Signor Pagano?« Er reichte mir ein Glas und wir prosteten uns zu. »Du nicht?«, fragte er dann seine Frau, die uns zusah, die Hände wie zum Gebet gefaltet.
    »Mein Arzt hat es mir untersagt, Bluthochdruck.«
    Ich trank einen Schluck, der Wein war tatsächlich exzellent. Körperreich, vollmundig und im Abgang ein Hauch von Sauerkirsche und Tannin. Diesen herrlichen Wein auf den Fusel aus der Bar zu schütten, war wirklich eine Todsünde. Ein Oxymoron, ein Widerspruch in sich, hätte mein Freund Pertusiello gelästert.
    »Ja,

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