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Bitteres Rot

Bitteres Rot

Titel: Bitteres Rot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bruno Morchio
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sie ist neunzehn und macht gerade das Abitur.«
    »Unser Sohn ist schon etwas älter«, sagte er lächelnd. »Er wohnt seit 1975 in Mailand und wird bald in Pension gehen. Wir sind erst spät Eltern geworden und er hat sich ein Beispiel an uns genommen. Seine Frau ist um einiges jünger, ihre beiden Söhne sind noch in der Grundschule. Leider sehen wir unsere Enkel nur selten. Einige Wochen im Sommer, wenn sie in den Ferien nach Celle Ligure kommen. Wir haben dort ein Haus.«
    »Sie sind unser Ein und Alles«, ergänzte seine Frau mit einem wehmütigen Lächeln. Sie stand neben ihrem Mann und stützte sich auf den Sessel. Ada musste jünger sein |99| als ihr Mann, obwohl die Zeit auch an ihr nicht spurlos vorübergegangen war.
    Ich blickte mich um und sagte an beide gerichtet: »Glückwunsch, Sie haben ein wunderbares Zuhause.«
    »Danke.« Ada lächelte bemüht.
    »Gefällt es Ihnen?«, fragte Lanza. »Wir haben die Wohnung über Jahre hinweg eingerichtet, Stück für Stück. Wenn man alt ist, dann bekommt das Zuhause einen Stellenwert, den man sich als junger Mensch nicht vorstellen kann. Wenn man sich in seinen eigenen vier Wänden wohlfühlt, fällt das Älterwerden leichter.«
    »Vorausgesetzt, man bleibt gesund«, ergänzte seine Frau mit müdem Lächeln.
    »Und wenn man krank wird, ist ein gemütliches Zuhause umso wichtiger. Dann wird es zum alleinigen Zentrum des Lebens, es sei denn, man landet im Krankenhaus.« Es sollte wohl ein Scherz sein, aber außer Lanza selbst lachte niemand. Um die peinliche Situation zu überspielen, goss er nach. Er hob sein Glas: »Auf Ihre Tochter!«
    »Auf Ihre Enkelkinder!« Ich nahm einen Schluck und fragte: »Jetzt bin ich doch neugierig. In welchem Beruf haben Sie gearbeitet?«
    »Nach dem Krieg bin ich fünf lange Jahre zur See gefahren. Aber dieses Leben war nichts für mich. Mit meinem Ersparten bin ich als Teilhaber in eine Firma am Hafen eingestiegen. Dann habe ich mein Studium wiederaufgenommen und meinen Abschluss gemacht. Zeit meines Lebens habe ich hart gearbeitet, und um ehrlich zu sein, selbst heute, mit über achtzig, fehlt mir die Arbeit manchmal.«
    »Sie haben gut verdient.«
    »In den Fünfziger- und Sechzigerjahren konnte man mit viel Fleiß auch viel verdienen. Bevor meine alten Weggefährten alles kaputt gemacht haben.«
    |100| »Ihre alten Weggefährten?«
    »Alles wurde verstaatlicht. Die privaten Firmen mussten fusionieren und wurden unter öffentliche Verwaltung gestellt. Danach war es mit dem freien Handel vorbei. Der Hafen erlebte eine der schlimmsten Krisen seiner Geschichte. Es tut mir leid, das sagen zu müssen, aber sie sind mit daran schuld. Ideologien sind eine Geisel der Menschheit, verblendete Weltanschauungen haben fatale Folgen.«
    »Zum Beispiel?«
    »Um es mit einem Sprichwort zu sagen: ›Das Auge des Herrn macht die Kühe fett.‹ Wenn der Staat sich einmischt, geht alles den Bach runter.«
    »Das hätten Sie damals aber nicht sagen dürfen. Das war tabu, genau wie auf das Rote Kreuz zu schießen. Damals war es der Verdienst dieser Ideologie, dass alle etwas vom Kuchen abbekamen. Heute muss sich ein Arbeiter mit den Krümeln begnügen. Aber eines interessiert mich noch. Wieso haben Sie dann an der Seite von Comandante Grandi gekämpft?«
    »Das waren andere Zeiten. Alle haben damals Fehler gemacht, auch ich. Wir waren achtzehn und hatten unsere Ideale.«
    »Und heute?«
    »An diese Hirngespinste glaube ich schon lange nicht mehr. Das war alles ein großer Irrtum. Vergessen Sie eines nicht: Unsere Garibaldi-Brigade war fest in der Hand der Kommunisten.«
    »Grandi glaubt heute noch daran.«
    »Kann sein, aber doch nur aus Nostalgie.«
    Ich betrachtete ihn genau: Lanza war ein in Würde gealterter Mann, intelligent und selbstbewusst. Sein ganzes Leben hatte er die kritische Distanz bewahrt, war seinen Prinzipien treu geblieben. Natürlich hatte auch er Fehler |101| gemacht, aber die schlimmsten Konsequenzen hatte er vermeiden können. Ganz im Gegensatz zu mir.
    »Haben Sie es bereut?«
    »Bereut?« Er schüttelte energisch den Kopf. »Ganz und gar nicht. Die Resistenza war ein typisches Beispiel, wie man durch verblendete Ideologien gute Absichten zunichtemachen kann.«
    Der Wein hatte ihn besänftigt, die kurze Unsicherheit war verflogen. Ada hatte sich die ganze Zeit nicht von der Stelle gerührt, wirkte, auf die Rückenlehne seines Sessels gestützt, wie ein Papagei, der auf der Schulter seines Besitzers kauert.
    Ich sah auf die Uhr.

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