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Bitteres Rot

Bitteres Rot

Titel: Bitteres Rot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bruno Morchio
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dazu sagen?
    »Wenn Hessens Familie tatsächlich bei einem Luftangriff umgekommen ist, werden wir die Verräterin zur Rechenschaft ziehen.«
    »Wie finden wir das heraus?«, fragte Dria.
    |110| »Wir haben unsere Quellen. Die Sache dürfte kein Staatsgeheimnis sein«, antwortete Grandi.
    »Stimmen wir ab«, drängte Lanza auf eine Entscheidung.
    Wenn Tilde jetzt nichts sagte, wäre Iolanda verloren.
    »Sie ist ein guter Mensch!«, brach es aus ihr heraus. »Sie ist keine Verräterin.« Ihre Augen füllten sich mit Tränen, sie konnte kaum sprechen. Die anderen würden ihr ohnehin nicht glauben. Sie wusste ja selbst nicht, was sie glauben sollte. Sollte sie ihrem Herzen oder ihrem Verstand folgen? Sie wollte es einfach nicht wahrhaben.
    Mit dieser Reaktion hatten die Gruppenmitglieder nicht gerechnet. Selbst Biscia blickte auf und starrte sie fragend an. Machte er sich etwa Sorgen?
    »Unmöglich«, Calcagno blieb hart, »einer der beiden lügt.«
    »Und trotzdem«, Tilde gab nicht auf.
    Jetzt war es Olindo, der auf den dreckigen Holzboden starrte. Alle warteten auf eine Reaktion, aber er schwieg, ganz in Gedanken versunken.
    »Olindo«, drängte Dria, »hast du dazu nichts zu sagen?«
    »Das ist nicht so einfach, sie ist schließlich eine Frau.«
    »Aber Sandra und Mariù   …« Lanza schien verärgert, führte seinen Satz aber nicht zu Ende.
    »Als ich sie bat, Tilde ins Hauptquartier der Deutschen einzuschleusen, hat sie mich gefragt, wie alt sie ist.«
    »Na und?«
    »Sie schien sich Sorgen zu machen, auf mich wirkte das echt.«
    Eine bedrückende Stille machte sich breit und raubte den Anwesenden den Atem, mehr als der ätzende Rauch. Jeder versuchte in den Augen des anderen eine Antwort zu lesen. Aber vergeblich. Nur Lanza war sich seiner Sache sicher. Aus der Ferne war das Pfeifen einer Lokomotive |111| zu hören, gefolgt vom Rattern nicht enden wollender Waggons. Vom Nachbarhaus drang Hundegebell herüber.
    Calcagno fasste sich ein Herz. »Manchmal sind auch Verräter arme Schweine. Sie werden nicht hingerichtet, weil sie böse Menschen sind, sondern weil sie uns schaden.«
    »Du hast recht, wir sind im Krieg. Die Deutschen und die Faschisten handeln doch genauso, im Krieg hat Mitleid einfach keinen Platz«, schaltete sich Dria ein.
    »Und trotzdem denke ich wie Tilde. Ich bin nicht von Iolandas Schuld überzeugt«, Olindo gab nicht nach.
    »Sicher sein werden wir nie«, entgegnete Calcagno.
    Tilde war außer sich. »Was soll das heißen? Dass ihr auch jemanden umbringen würdet, der möglicherweise unschuldig ist?«
    »Wenn es darum geht, das Leben unserer Leute zu retten, ja.«
    Tilde wollte reagieren, aber ihr fehlten die Worte. Dieser redegewandte Intellektuelle ließ ihr keine Chance. So überzeugend seine Rationalität auch war, die Stimme ihres Herzens konnte sie nicht zum Schweigen bringen.
    »Gut, stimmen wir ab«, entschied Grandi. Dieser Satz klang in ihren Ohren wie ein Todesurteil.
    »Na endlich«, meinte Lanza, »wer ist dafür?«
    Dria, Calcagno, Lanza und Olindo hoben die Hand.
    »Gegenstimmen?«
    Biscia starrte reglos auf den Boden und rauchte.
    »Was ist los, Biscia, enthältst du dich?«, spottete Lanza.
    »Idiot!« Biscia war gereizt.
    Auch Tilde hatte nicht reagiert. Durfte sie überhaupt mitstimmen? Olindo wandte sich ihr zu und fragte: »Hast du keine Meinung?«
    Sie zuckte mit den Schultern. Mit dieser Entscheidung wollte sie nichts zu tun haben. Sie hatte ihren Beitrag geleistet, |112| das war’s. Grandi verstand und sagte rasch: »Vielleicht ist es besser so.«
    Als ob eine Stimmenthaltung irgendjemandem helfen würde, am wenigsten Tilde und Biscia selbst.
    Tilde schaute nervös auf die Uhr und hoffte insgeheim, dass sie nie wieder in eine solche Situation geraten würde. Zu Hause würden sie mit dem Mittagessen auf sie warten. Sonntag für Sonntag das gleiche Ritual. Die Familie setzte sich um den Tisch, man erzählte sich die erfreulichen Erlebnisse der Woche, die unerfreulichen ließ man einfach weg. Ihr Vater wollte es so.
    Sie wartete, dass einer den Anfang machen würde, aber niemand rührte sich.
    »Da ist noch etwas«, sagte Olindo mit ernster Stimme und wandte sich an Tilde. Belastete ihn die Entscheidung doch mehr, als er zugab? Erwartete Iolanda noch Schlimmeres?
    »Falls wir Iolanda bestrafen   …«, Tilde wusste, dass sie es tun würden und Olindo wusste es natürlich auch. Warum dann diese Inszenierung? Biscia zuliebe? Damit er das Gefühl hatte, seine Bedenken

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