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Bitteres Rot

Bitteres Rot

Titel: Bitteres Rot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bruno Morchio
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würden ernst genommen? »Dann musst du verschwinden.«
    Ihr wurde schwarz vor Augen. Wahrscheinlich lag es an der stickigen Luft oder daran, dass sie seit dem frühen Morgen außer einem Malzkaffee nichts mehr zu sich genommen hatte. Sie fühlte sich hundeelend, am liebsten hätte sie gekotzt. Sie wollte alles auskotzen, bis nur noch Galle kam, und herausschreien, dass sie ihre Heimat nicht verlassen würde.
    »Verschwinden? Wohin?«
    Olindo hatte ihre Reaktion bemerkt und fragte besorgt. »Tilde, geht es dir gut?«
    »Ja doch, mir geht’s gut«, beeilte sie sich zu sagen, aber ihr Gesicht sprach Bände.
    |113| Biscia war aufgesprungen. Er nahm sie bei der Hand und drückte sie sanft auf einen Stuhl. Tilde war überrascht, dass er ebenso verwirrt war, wie sie selbst. »Mach weiter, Olindo.«
    »Du musst in die Berge.«
    »In die Berge? Warum?«
    »Weil du uns alle in Gefahr bringst. Maestri wird keine Ruhe geben, bis er dich hat.«
    Das waren also die Konsequenzen, von denen Olindo gesprochen hatte. Nicht nur, dass sie Biscias Liebe riskierte, sie müsste auch ihre Familie im Stich lassen. Ihre Liebsten, die auf sie angewiesen waren. Wie würden sie ohne sie und ihren Lohn zurechtkommen? Warum hatte Olindo ihr nicht von Anfang an reinen Wein eingeschenkt?
    »Sie schaffen das nicht allein«, murmelte sie.
    »Wir werden versuchen, ihnen zu helfen.«
    Ihre Gedanken fuhren Karussell, ihre Gefühle überschlugen sich.
    »Und wer bringt meiner Tante das Essen?«
    »Auch das übernehmen wir. Verstehst du denn nicht, Tilde? Es geht um dein Leben!«
    Plötzlich fiel ihr Hessen ein. Seine Frage beim Abschied, ob sie sich wiedersehen würden. Er hatte sie beruhigt: »Mach dir keine Sorgen, dir passiert nichts.« Der Hauptmann würde sie vor Maestri und dessen Bluthunden schützen, da war sie sicher. Aber das konnte sie natürlich nicht sagen. Sie riss sich zusammen: »Wir werden sehen. Alles zu seiner Zeit.«
    Biscia stand immer noch neben ihr und hielt ihre Hand. Ihre Gedanken konnte er nicht lesen.

|114| Schlachthof
    Immer das gleiche Spiel. Immer wenn ein Kunde mit einem vermeintlich leichten Fall und gutem Honorar lockte, gab es irgendwo einen Haken. Auch dieser Auftrag war da keine Ausnahme. Professor Hessen hatte mich belogen und Olindo Grandi, der alte Freund meines Vaters, hatte mir wichtige Informationen verschwiegen. Auf dem Nachhauseweg suchte ich nach Gründen für ihr seltsames Verhalten, fand aber keine Antwort. Was steckte dahinter? Hatten die beiden das gleiche Motiv? Ich hätte den Comandante direkt damit konfrontieren und eine Erklärung verlangen können, aber das wäre kein geschickter Schachzug gewesen. Alles hatte mit dem Auftrag des Deutschen angefangen, also musste er mir als Erster Rede und Antwort stehen. Leider hatte mir Hessen weder Adresse noch Telefonnummer hinterlassen. Natürlich hätte ich im Telefonbuch von Köln nachsehen können, aber immerhin hatte ich zwei Schecks im Gesamtwert von dreiundvierzigtausend Euro in der Tasche. Früher oder später würde er sich schon melden.
    Der Gedanke an Jasmine ließ mir keine Ruhe. Um mich abzulenken, beschloss ich, mir etwas Gutes zu kochen. Ich stellte die Vespa ab und ging die Stradone di S.   Agostino Richtung Canneto il Lungo hinunter, um einzukaufen. Es |115| war früher Abend, Aperitifzeit. Auf der Straße herrschte reges Treiben, im Caffè degli Specchi waren alle Tische besetzt. Ich ging zum Metzger, zum Bäcker und schließlich zum Gemüsehändler, aber die düsteren Gedanken ließen mich nicht los. Ich dachte an Arrosto di Vitello mit Brokkoli und Kartoffeln, dazu einen roten Refosco   … Aber alleine essen? Plötzlich hatte ich keine Lust mehr zu kochen. Ich blieb stehen, um Mara oder einen Freund anzurufen. Gina Aliprandi vielleicht? Seit Aglajas achtzehntem Geburtstag hatte ich sie nicht mehr gesehen. Auch mit René, dem »Capitano«, hatte ich in letzter Zeit kaum Kontakt. Ich beschloss, in seiner Crêperie vorbeizuschauen, bevor ich mich auf den Heimweg machte.
    Ich kam an Roger’s Café vorbei. Tony, der junge Barkeeper, stand auf der Türschwelle und rauchte. Als er sah, wie ich mich, mit Einkaufstüten beladen, lustlos die Straße entlangquälte, winkte er mich herein. Er mixte mir einen eiskalten Negroni und stellte ein Tablett mit leckeren Spuntini, kleinen Häppchen mit Salami, Schinken und Käse, vor mich hin. Nach dem ersten Schluck Negroni spürte ich, wie sich meine Laune zumindest ein wenig hob. Aber der Gedanke, alleine

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