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Bitteres Rot

Bitteres Rot

Titel: Bitteres Rot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bruno Morchio
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Beine bleischwer. Die Brüste waren fester und üppiger geworden, doch statt stolz auf ihre neue Weiblichkeit zu sein, schämte sie sich, wie ein junges Mädchen, das nicht erwachsen werden wollte. Sie drehte sich zur Wand und verfluchte das Schicksal, das ihr das Leben zur Hölle gemacht hatte. Sie hasste sich. Sie hasste ihren Körper und ihre Weiblichkeit.
    Wie hatte es so weit kommen können? Sie hätte diese Frage gerne Comandante Grandi gestellt, der sie in die Arme des Deutschen getrieben hatte. Oder Biscia, der nichts getan hatte, um diesen Schritt zu verhindern. Oder ihrer Mutter, die nicht bemerkt hatte, dass ihre Tochter zur Hure geworden war. Heiligte der Zweck wirklich alle Mittel? Konnte sie ihr schlechtes Gewissen damit beruhigen, dass das Kind, das in ihr heranwuchs, das Leben junger Menschen rettete, die ohne Hessens Informationen hätten sterben müssen? Ein Opfer ohne Reue?
    Ohne Reue? War das überhaupt möglich? Man darf sich nur für etwas Vorwürfe machen, das man selbst verschuldet hat, heißt es. »Mach es nur, wenn du es wirklich willst.« Das waren ihre Worte gewesen. Aber es war wie ein Zwang. Sie wollte allen beweisen, dass sie bereit war. |159| Es war der Preis für ihre Anerkennung. Hätte sie Nein gesagt, niemand hätte es ihr übel genommen. Das hatte sie aus Olindos Blick ablesen können. Mit dem gleichen Gesichtsausdruck hatte er sie an diesem verfluchten Tag gemustert, als Iolanda hingerichtet und Giacomo Buranello verhaftet worden waren. Im Schutz der Toreinfahrt hatte sie ihm anvertraut, dass Hessen bereit sei, Maestri ans Messer zu liefern. Für einen Moment erkannte sie stumme Verzweiflung in Grandis Augen, dann gewann der Patriot in ihm die Oberhand. Die gleiche stumme Verzweiflung würde sie in den Augen ihrer Eltern lesen können, wenn sie Bescheid wüssten. Und auch in Biscias Blick hatte dieser Ausdruck gelegen, damals bei Dria.
    Wem sollte sie sich anvertrauen? Wem konnte sie erzählen, dass in ihrem Bauch das Kind des Feindes heranwuchs?
    Allein zu sein, ohne einen Menschen, dem sie ihre Qualen anvertrauen konnte, das war es, worunter sie am meisten litt. Ihre Mutter hatte trotz aller Armut stets dafür gesorgt, dass sie und ihr Bruder keine Not leiden mussten. Aber statt Vertrauen war eine Mauer des Schweigens zwischen ihnen entstanden. Aus kindlicher Schwärmerei waren Ernüchterung und Wut geworden. Aber sie hatte diese Wut nie herausschreien können, ihre Mutter hatte sich immer hinter ihrer Arbeit versteckt. Als sie zur Frau geworden war, hatte sich auch ihr Vater von ihr zurückgezogen. Seine Berührungen, die ihr Zärtlichkeit und Wärme vermittelt hatten, waren plötzlich gezwungen und steif. Dann war die Krankheit der Mutter gekommen, der Krieg   … Niemand hatte mehr die Kraft gehabt, dem anderen seine Gefühle und Bedürfnisse zu offenbaren. Schon das nackte Überleben war jeden Tag aufs Neue eine heroische Tat.
    Von den Menschen, die man liebte, durfte man nichts |160| erwarten, das war ihr jetzt klar. Sie war allein. Niemand konnte sie trösten. Sie ließ ihren Tränen freien Lauf.
    Sie könnte mit Hessen reden und ihm die Wahrheit sagen. Wie würde er wohl darauf reagieren? Ein Kind von einer Frau, die für den Feind spionierte? Von einer Frau, die ihren Körper verkaufte, um eine Verräterin zu entlarven? Wäre in seinem exzessiven Leben überhaupt Platz für ein Kind? Für einen Bastard des Krieges? Um ihn aus seiner dumpfen Trauer um seine Frau und seine arischen Kinder zu reißen, wäre dieses Niemandskind bestimmt nicht genug.
    Das Bild eines blonden Kindes mit himmelblauen Augen war das Letzte, woran sie dachte, als die Sirenen heulten. Fliegeralarm. Ihre Mutter stürzte schreiend ins Zimmer, ihr Bruder schreckte hoch, zog sich noch im Halbschlaf Hose und Schuhe an und hüllte sich in seinen Mantel. Sie blieb noch im Bett, als könnte ihr unter der warmen Decke nichts passieren. Und wenn? Sie hatte ihre patriotische Pflicht erfüllt. Mitsamt ihrem Geheimnis unter den Trümmern des Hauses begraben zu werden, schien ihr ein ehrenvoller Abschied. Besser als das Kind mit der Nadel abzutreiben, dem Wahnsinn zu verfallen oder sich umzubringen.
    Aber ihr Vater zerrte sie mit Gewalt aus dem Bett. Als ihre Füße den eiskalten Boden berührten, erschauerte sie. Sie trug nur ein kurzes Flanellnachthemd. Der Blick ihres Vaters fiel erst auf ihre schweren Brüste, dann traf er ihre Augen. Endlich schien der Mann zu begreifen. Er raffte die zerschlissene

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