Bitteres Rot
sehr weit entfernt, insgeheim hatten wir gehofft, Jasmine würde in der Nähe von Genua festgehalten werden. Essam hackte weiter auf den Tasten herum, durchsuchte unermüdlich Seite um Seite, öffnete und schloss sie wieder. Sein Gehirn arbeitete auf Hochtouren.
»Und wenn es doch nicht Robin Hood ist?«
»Dann sind wir wieder am Anfang.«
»Nicht unbedingt.«
»Meinst du, es könnte auch …«
»Ja«, seine Stimme klang ermutigend, als wäre ich in der ersten Klasse.
»… Lady Marian sein?«
»Warum nicht?«
Er gab den neuen Suchbegriff ein und nach einigen Seiten tauchte ein Link auf, der auf eine Werbeseite verwies und uns unisono sagen ließ: »Das ist sie!«
Es handelte sich um eine Reinigungsfirma namens »Lady Marian – alles blitzblank in Haus und Büro«. Das Logo zeigte eine bezaubernde Füchsin. Es war schon ziemlich gewagt, einen Bezug zwischen einer Reinigungsfirma und Lady Marian herzustellen. Was hatte eine reiche Adlige, die sich in einen Banditen verliebt, der die Reichen bestiehlt, um die Armen glücklich zu machen, mit Putzfrauen zu tun? Trotzdem hatten wir beide das Gefühl, auf dem richtigen Weg zu sein. Die Firma hatte ihren Sitz ganz in der Nähe, in Marassi, in der Corso De Stefanis, |167| einer stark befahrenen Straße, die hinter dem Stadion und dem Gefängnis entlangführte. Ich entschied mich, die Firma aufzusuchen und Essam bot an, mich zu begleiten. Ich musste ihn mitnehmen, das war klar. Wenn wir dort fündig würden, dann war das einzig und allein Essam zu verdanken. Wir hasteten in Richtung Piazza Sarzano, wo ich die Vespa abgestellt hatte. Es hatte aufgehört zu regnen und die letzten Strahlen der bleichen Nachmittagssonne blitzten verstohlen durch die schwarzen Wolken, die immer noch im Westen drohten. Ich bemühte mich, dieses schwache Leuchten als positives Zeichen zu sehen: Ich würde Jasmine lebend finden. Wir fuhren zu meiner Wohnung, wo ich mir das Pistolenhalfter unter der Achsel befestigte, die Beretta Cougar 8000 aus dem Schreibtisch nahm, das Magazin hineinsteckte und die Waffe im Halfter verstaute. Ich zog meine Jacke über und steckte eine Schachtel Patronen in die rechte Tasche.
Es herrschte reger Feierabendverkehr, trotzdem brauchten wir nicht mehr als zehn Minuten bis zur Reinigungsfirma. Ich stellte die Vespa auf dem Motorradparkplatz ab und verstaute die Helme unter dem Sitz. Ganz unauffällig schlenderten wir die Straße entlang, taten so, als ob uns die Schaufensterauslagen der Geschäfte interessieren würden, bis wir schließlich vor der Reinigungsfirma standen. Durch das Fenster erkannten wir eine etwa dreißigjährige Frau, die am Computer arbeitete. Mit ihren strähnigen strohblonden Haaren wirkte sie ein bisschen ordinär, aber irgendwie passend zu dem armseligen kleinen Büro. Eine Sekretärin? Oder vielleicht »Lady Marian«? Wir sondierten die nähere Umgebung, von einem weißen Kombi keine Spur. Wir brauchten Geduld … und Optimismus. Hoffentlich war diese Spur die richtige und kein Abstellgleis.
Essam hatte Witterung aufgenommen, hoch konzentriert wie ein Jagdhund. Er sprach kein Wort. Im Nachbarhaus |168| war eine Bar und ich lud ihn zu einem Getränk ein. Er wählte einen Tomatensaft, während ich mich für einen Dolcetto di Dogliani entschied. Ich wusste nicht, wie lange wir warten müssten, aber ich war bereit, auch die ganze Nacht hier zu verbringen. Mich beunruhigte nur eines: dass wir am falschen Ort sein könnten. Als wir die Bar verließen, war die Luft zum Schneiden dick, der Verkehr war chaotisch geworden, Richtung Val Bisagno hatte sich ein Stau gebildet. Die Nacht brach herein, die mittlerweile eingeschalteten Straßenlaternen hüllten den Bürgersteig in kaltes weißes Licht. Plötzlich tauchte auf der entgegengesetzten Spur ein heller Kombi auf, hier lief der Verkehr flüssig. Mit aufgeblendeten Scheinwerfern fuhr er zügig in Richtung Stadtzentrum. Ein heller Kombi, aber ohne Bild und Aufschrift auf der Tür.
Ich beschloss, alles auf eine Karte zu setzen. Egal, ob wir uns geirrt hatten oder ich die Ermittlungen gefährdete. Ich befahl Essam, sich nicht von der Stelle zu rühren und weiter die Augen offen zu halten, dann betrat ich entschlossen das Büro.
Die junge Frau hob kaum den Kopf. »
Buonasera
, wie kann ich Ihnen helfen?«, fragte sie gelangweilt.
»Ich suche Signor … Sie wissen schon, den Fahrer des weißen Kombis.« Ich gab mich leicht verwirrt.
»Signor Randazzo?«
»Möglich. Er ist doch der
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