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Bitteres Rot

Bitteres Rot

Titel: Bitteres Rot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bruno Morchio
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dass sie dazugehörte.«
    Er zwang sich zu einem Lachen. »Sie war aber keine von der GAP.«
    »Spielt das eine Rolle? Es gibt viele weibliche Terroristen in der Geschichte. Ihr Deutschen müsstet das doch wissen, denken Sie zum Beispiel an Ulrike Meinhof!«
    »Worauf wollen Sie hinaus?«, fragte er schneidend. »Die Bombe damals im Kino wurde schließlich nicht von einer Frau gelegt.«
    »Ich habe die Akten zum Prozess gegen den S S-Offizier Friedrich Engel gelesen. Der war genauso verbohrt wie Sie. Man weiß, dass es ein junger blonder Mann mit blauen Augen war.«
    »Ja und?«
    »Unterstellen wir einmal, Ihre Mutter wäre bei der GAP gewesen. Dann hätte sie es wissen können.«
    »Wollen Sie damit sagen, dass meine Mutter die Komplizin der Mörder meines Vaters gewesen sein könnte?«
    »Ist das nicht der wahre Grund, weshalb Sie mich mit Nachforschungen beauftragt haben?«
    Gespannte Stille. Ich hörte seinen rasselnden Atem. Mir war, als könnte ich seine mühsam zurückgehaltenen Gefühle durch den Hörer wahrnehmen. Zum allerersten Mal spürte ich hinter der Fassade des stets beherrschten |156| Ehrenmannes abgrundtiefen Hass. Aber gerade das machte ihn menschlich.
    Den ironisch-unverbindlichen Ton beizubehalten, kostete ihn offensichtlich Mühe: »Ich glaube, Ihre Fantasie geht mit Ihnen durch,
Herr
Pagano. Wenn die Situation so wäre, wie Sie sie schildern, hätte ich einen großen Fehler gemacht.«
    »Das müssen Sie mir genauer erklären.«
    »Glauben Sie im Ernst, ich hätte Sie beauftragt, das Ganze nochmals aufzurühren, wenn ich von Anfang an von dieser Ungeheuerlichkeit gewusst hätte?«
    Sein Gedankengang traf den Nagel auf den Kopf und ließ mir keine andere Wahl. Ich hatte mich in eine ausweglose Situation manövriert. Sollte ich den Prinzipien meines Vaters treu bleiben oder das tun, was mein Auftraggeber von mir verlangte? Die Hypothese war gewagt, das musste ich zugeben. Aber wenn Nicla tatsächlich von dem Attentat gewusst hatte, wie hätte sie ihrem Sohn erklären können, dass sie dazu beigetragen hatte, seinen Vater umzubringen?
    Einer von uns beiden hatte einen Fehler gemacht und jetzt war es zu spät. Die Kugel rollte.
    »Ich hätte diesen Auftrag ablehnen sollen.«
    »Meinen Sie?« Seine Stimme hatte etwas Diabolisches.
    Plötzlich fiel es mir wie Schuppen von den Augen: Olindos Sorge war begründet. Es war fast so, als hätte auch ich Nicla auf dem Sterbebett etwas versprochen.
    »Es ist nicht schwer, aus der Situation herauszukommen«, fuhr Hessen mit geheucheltem Optimismus fort.
    »Und wie?«
    »Sie müssen nur Ihre Pflicht erfüllen und meinen Bruder finden. Ich werde einen reichen Mann aus ihm machen.«

|157| Tildes Gedanken
    Sestri Ponente, März 1944
     
    Diese Nacht verbrachte sie zu Hause, in ihrem Bett. Neben sich hörte sie den regelmäßigen Atem ihres Bruders. Auch ihre Eltern waren nach einem langen Tag zur Ruhe gekommen. Tag für Tag das Gleiche: die Plackerei in der Fabrik, die immergleichen Behandlungen der Mutter, um deren Schmerzen zu lindern, der penetrante Kohlgeruch und das endlos lange Anstehen für ein halbes Kilo Brot und hundert Gramm getrocknete Bohnen, die Tagesration auf der Lebensmittelkarte. Die Musik aus dem alten Radio, Alberto Rabagliati und das Trio Lescano, ließ niemanden mehr träumen. Auch die zerlesenen Nummern des ›Domenica del Corriere‹ oder die neuste Ausgabe des ›L’Intrepido‹, die ihr Bruder im flackernden Kerzenlicht verschlang, halfen nicht, die Last des Alltags zu lindern.
    In der düsteren Wohnung war Stille eingekehrt, ein Spiegelbild ihrer Seele. Auch in ihrem Leben herrschte jetzt Stille. Nur das Ticken des Weckers auf dem Nachttisch erinnerte sie daran, dass das Leben weiterging. Wie das Schlagen eines metallenen Herzens. Sekunde um Sekunde, erbarmungslos, wie der Lauf der Zeit.
    |158| Sie war sich jetzt sicher. Sie war schwanger. Ein Junge? Und wenn es ein Mädchen würde? Vielleicht würde es blonde Haare haben, wie sein Vater. Vielleicht wäre auch Biscias Tochter blond gewesen. Aber das Kind, das sie unter dem Herzen trug, war nicht von Biscia. Es war das Kind dieses verfluchten Krieges.
    Wie lange noch würde sie die Wahrheit geheim halten können? Sie glaubte, den sich wölbenden Bauch schon spüren zu können, aber dazu war es noch zu früh, das bildete sie sich nur ein. Aber nach acht Stunden Schwerstarbeit in der Kantine, nach Kartoffeln schälen und Kohl putzen im Stehen waren ihre Knöchel angeschwollen und ihre

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