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Bitteres Rot

Bitteres Rot

Titel: Bitteres Rot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bruno Morchio
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los?«, fragte sie besorgt.
    Sofort kamen weitere Kolleginnen zu Hilfe, eine griff nach ihrem Arm, brachte sie in die Küche und drückte sie auf einen Stuhl.
    |214| »Du bist ja leichenblass, hast du Schmerzen?«
    Jemand reichte ihr ein Glas Wasser, aber sie wehrte ab. In der Küche war es drückend heiß, einfach unerträglich. Sie brauchte dringend frische Luft und bat mit letzter Kraft, nach draußen gebracht zu werden. Wanda begleitete sie in den Hof. Schweigend gingen sie ein paar Schritte.
    »Was ist passiert?«, fragte sie, als Tildes Gesicht wieder etwas mehr Farbe hatte.
    »Sie haben Dolores erschossen.«
    Eine weitere Kollegin kam auf den Hof, zusammen mit dem Kantinenleiter, einem zaundürren Mann namens Carogna.
    »Was ist hier los? Ihr werdet fürs Arbeiten bezahlt! Wenn ihr krank seid, gehört ihr ins Lazarett.«
    Die Nachricht von Dolores’ Tod verbreitete sich blitzschnell. In der Kantine kam Unruhe auf. Niemand konnte sich den Grund für die Exekution erklären. Hatte Dolores vielleicht mit dem Schwarzmarkt zu tun gehabt? Warum hatte dann nie jemand etwas gemerkt? Wer auf dem Schwarzmarkt handelte, brauchte Kunden, Geheimniskrämerei war da fehl am Platz. Und vor allem: Warum sollten die Partisanen eine Schwarzmarkthändlerin erschießen?
    Tilde ging in die Küche zurück, die quälenden Gedanken ließen ihr keine Ruhe. Im Grunde ihres Herzens kannte sie die Antwort längst, aber sie hatte Angst, sie sich einzugestehen. Sie klammerte sich an den Strohhalm des Zweifels, hoffte auf ein Wunder, um nicht in den Abgrund der Realität blicken zu müssen. Natürlich brachten die Partisanen keine Schwarzmarkthändlerin um. Die brutale Wahrheit war eine andere: Sie hatten Maestri zum Reden gebracht und jetzt   … richteten sie die
Verräter
.
    Getrieben von dunklen Vorahnungen fieberte sie dem Feierabend entgegen. Wieder und wieder sah sie auf ihre |215| Uhr, ein Geschenk ihrer Mutter, doch die Zeit schien stillzustehen. Sie versuchte das aufgeregte Stimmengewirr zu ignorieren, sich mit dem Abwasch und dem Abtrocknen des Geschirrs abzulenken, bis die Sirenen endlich das Ende der Schicht ankündigten. Sie zog sich um, eilte nach draußen, stieg auf ihr Rad und trat so fest in die Pedale, dass sie fast keine Luft mehr bekam. Ihr Ziel war die Via Paglia. Hoffentlich war Olindo zu Hause, mehr wollte sie nicht. Es war schwül, der Schirokko schaufelte warme Luft vom Meer heran, vermischt mit dem beißenden Qualm der Fabrikschlote. Der Kohlestaub raubte ihr fast den Atem. Endlich angekommen, hastete sie die Stufen hinauf und hämmerte an die Tür. Keine Reaktion. Nach einer gefühlten Ewigkeit endlich Olindos Stimme: »Wer ist da?«
    »Ich bin’s, Tilde.« Das Herz schlug ihr bis zum Hals.
    Er öffnete, ließ sie rasch eintreten und schlug die Tür wieder zu. Stumm blickte er sie an und wartete auf ihre Frage.
    »Ihr habt Dolores erschossen, oder?«
    Olindo nickte. In seinen trüben Augen stand die Antwort, die sie suchte.
    »Maestri hat gestanden, dass sie die Verräterin war.«
    Er nahm sie sanft am Arm und zog sie durch den düsteren Flur bis in die Küche, wo das flirrende Frühsommerlicht auf die hölzerne Anrichte fiel.
    »Du hattest recht. Maestri ist ein Feigling. Wir mussten nicht einmal seine eigenen Methoden anwenden, um ihn zum Sprechen zu bringen.«
    »Also war Dolores die Verräterin.« Tildes Stimme drohte zu versagen. Ihre Augen fixierten einen Sonnenstrahl, der sich über die Unbelehrbarkeit und Grausamkeit der Menschen lustig zu machen schien.
    »In einem Zimmer hatte sie Käse, Öl, Mehl und sogar |216| teure Weine versteckt. Das beweist, dass Strappaunghie nicht gelogen hat.«
    »Iolanda hatte also gar nichts mit der Sache zu tun   …?«
    »Nein, dein Hauptmann hat dich reingelegt.« Olindo stierte auf den Steinfußboden. Er runzelte die dichten Augenbrauen und presste die Lippen wütend aufeinander. »Wir haben eine Unschuldige hingerichtet. An dieser Last werde ich mein ganzes Leben lang zu tragen haben.«
    »Wir alle«, seufzte Tilde mit erstickter Stimme. Sie schlug die Augen nieder, zwei dicke Tränen liefen über ihre Wange. »Wir alle tragen sie, Olindo. Nicht nur du.«
    »Man hat uns belogen und betrogen, Tilde. Aber man muss Opfer bringen. Hier geht es nicht um uns, hier geht es um Italien.«
    Alles in ihr krampfte sich zusammen. Aus ihrer Kehle drang ein gequälter Schrei, halb Klagelaut, halb Rebellion. Sie packte Olindo an seinem frisch gebügelten weißen Hemd und krallte ihm

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