Bitterfotze
hinsetzen, damit wir reden können. Man kann kein vernünftiges Gespräch mit jemandem führen, der ständig in ein anderes Zimmer läuft, ständig mit etwas anderem beschäftigt ist.
Dann kann es vorkommen, dass sie seufzt, ja, ja sagt und sich mit einer halben Tasse lauwarmen Kaffees hinsetzt, zwei Schlucke trinkt und gleich wieder aufspringt, weil auf dem Herd die Kartoffeln überkochen.
Ich habe diese Rastlosigkeit auch, aber nicht ganz so aufopferungsvoll wie sie. Aber es gibt sie, wie eine Angst, innezuhalten und nachzuspüren.
Isadoras Mutter, eine exzentrische rothaarige Frau, wiederholte immer wieder, dass sie eine berühmte Künstlerin geworden wäre, wenn sie keine Kinder bekommen hätte, das heißt Isadora und ihre Schwestern (die Namen haben wie Gundra, Lalah Justine und Chloe Camille! ).
Sie wachsen auf in einer großen Vierzehnzimmerwohnung in Central Park West mit zwei Ateliers mit Nordlicht, Bibliothek und echtem Blattgold an der Decke.
Isadoras Mutter betont, dass es für eine Frau nicht möglich ist, Künstlerin zu sein und Kinder zu bekommen. Man muss wählen. Und da Isadora auf den Namen Isadora Zelda getauft ist, war ihr von Anfang an klar, dass von ihr erwartet wird, das zu erreichen, was ihre Mutter nicht schaffte.
Ich nehme an, dass es nicht viele Kindheiten gibt, die so gründlich anders waren als meine. Meine Mutter ist zwar hin und wieder exzentrisch, aber ganz ohne jegliche künstlerische Ambitionen. Vor einiger Zeit fiel mir auf, dass ich keine Ahnung habe, ob meine Mutter ein Hobby hat. Wenn ich an sie denke, tauchen nur Bilder vom Kuchen- und Plätzchenbacken, Fischstäbchenbraten, Kartoffelschälen, Kaffee und Zigaretten auf, die sie gebeugt unter der Abzugshaube in der Küche raucht.
Mein Problem war eher das Nichtvorhandensein von Erwartungen seitens meiner Eltern. Das war keine Bosheit, aber sie haben sich irgendwie nie dafür interessiert, ob ich Putzfrau werden wollte oder Lokführerin, Briefträgerin, Ärztin oder Superanwältin. Ich kann mich nicht erinnern, dass sie mich je gefragt hätten, was ich werden wolle, wenn ich groß bin. Ein Desinteresse, das sowohl ein enormes Bedürfnis nach Bestätigung geschaffen hat als auch ein großes Gefühl von Freiheit.
Als ich einundzwanzig war, hatte ich meinen Universitätsabschluss in der Tasche, aber ich glaube nicht, dass sie verstanden haben, was das bedeutete. Mein Gott, ich wusste ja selbst kaum, was es bedeutete. Nur dass es ein akademischer Abschluss war, den man bekommt, wenn man eine bestimmte Anzahl von Punkten an einer Universität erworben hatte. Es war eine Welt und eine Sprache, die so unendlich weit entfernt von meiner eigenen lag. Sie verstanden nur, ich verstand nur, dass ich jede Menge merkwürdige Kurse in Stockholm absolviert hatte.
Ganz anders war es, als ich meinen ersten regulären Arbeitsvertrag bekam. Was das bedeutete, verstanden sie, und meine Mutter schickte Johan fünfzig Kronen zusammen mit einem handgeschriebenen Zettel, auf dem sie ihn bat, eine Flasche Sekt zu kaufen und zu feiern, dass »Sara ihre erste Anstellung gefunden hat«. Arbeitsvertrag und Anstellung waren Begriffe, die sie kannte. Eine Arbeit.
Im Unterschied zu Isadora hatte ich erst mit der Geburt des Kindes das Gefühl, in eine undefinierbare, geheimnisvolle Frauengemeinschaft aufgenommen zu werden. Da atmete meine Mutter erleichtert auf, stieß einen »Normalitätsseufzer« aus. In ihren Augen wog ein akademischer Titel von einer Universität fast nichts verglichen damit, Mutter zu werden.
Als meine Mutter sechsundzwanzig und mit mir schwanger war, bekam meine Großmutter Krebs. Sie starb, als ich ein halbes Jahr alt war, aber erst als ich selbst Mutter geworden war, verstand ich, was es bedeutet haben musste, die eigene Mutter sterben zu sehen und gleichzeitig das erste Kind zu erwarten und zu bekommen.
Wie unbeschreiblich schrecklich es gewesen sein muss, zu hören, wie die chemotherapierte Mutter sich im Zimmer nebenan übergibt, während gleichzeitig das Neugeborene auf die Schulter erbricht.
Ich verstand es erst richtig, als ich sie bat, mir von meiner Geburt zu erzählen. Ich war mit Sigge schwanger und freute mich überhaupt nicht auf die Geburt und hoffte auf einen beruhigenden Bericht von meiner Mutter. Aber sie erzählte nur, dass sie es nicht so schlimm gefunden hatte, denn »ich dachte die ganze Zeit daran, welche Schmerzen Großmutter hatte und dass meine Schmerzen bald aufhören würden«. Sie erinnerte sich
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