Bitterfotze
immer wieder auftauchten und Fakten lieferten, blieben Parenthesen. So wurde die Tatsache, dass die Frauen in Schweden siebzig Prozent der unbezahlten Hausarbeit machen, nicht erwähnt. Ebenso die Tatsache, dass die Frauen in Italien neunzig Prozent dieser Arbeit machen, und dass es außerdem nur für sechs Prozent aller italienischen Kinder einen Kita-Platz gibt. Tatsachen, die ebenso als Erklärung dienen könnten, oder als ein Teil des Kernproblems.
Das Schlusswort der Sendung wurde von einer ernsten, männlichen Sprecherstimme vorgetragen, die verkündete, »dass eine große Zahl der Frauen, die um 1970 geboren wurden, sich nie ihren Traum von zwei Kindern erfüllen. Den Preis dafür müssen wir alle zahlen.«
Ich saß mit offenem Mund vor dem Fernseher und dachte, ich gehöre zu der großen Gruppe von egoistischen Frauen, die in den 70er-Jahren geboren wurden. Ich war zwar brav schwanger, aber ich würde den Preis dafür zahlen müssen, dass ich beschlossen hatte, Kinder zu bekommen, ohne deshalb meine Arbeit aufgeben zu wollen. Elternzeit, das schon, ein paar Monate, aber dann? Und dabei habe ich nicht einmal eine feste Stelle, wie soll das gehen als Freischaffende, ausgebrannt vom Schlafmangel und ohne die Möglichkeit, Überstunden zu machen, wenn es nötig war.
Und genau wie die Verantwortung der Männer in dieser Fernsehsendung so merkwürdig fehlte, stellte ich fest, dass Johans Beteiligung in meinen Gedanken merkwürdig fehlte.
Die Botschaft war bis in mein Innerstes gedrungen: Kinder sind Frauensache. Kinder und Karriere sind keine gute Kombi. Und wenn du dich entscheidest, keine Kinder zu bekommen, bist du egoistisch.
Ein paar Monate später waren wir beim Elternkurs des Mütterzentrums. Der Stillkurs wurde von einer Frau geleitet, die Tiits mit Nachnamen hieß, und der Väterkurs von einem Mann, der Dick hieß. Tiits und Dick. Titten und Pimmel. Reiner Zufall.
Der Vortrag der Stillfrau handelte davon, wie unglaublich wichtig es sei, zu stillen. Sie malte Schreckensszenarien an die Wand, von Allergien, Krankheiten und Bindungsproblemen, wenn man nicht stillte, sie machte das Stillen zum entscheidenden Faktor in der zukünftigen Beziehung zum Kind. Dass es Alternativen geben könnte, kam bei Tiits nicht zur Sprache.
Dass man einfach Babynahrung im Supermarkt kaufen konnte, ohne Rezept für die Apotheke, wie ich geglaubt hatte, darüber wurden wir nicht aufgeklärt. Dass die Milchersatznahrung auch ihre Vorteile hat – man kann sich abwechseln und muss nicht jede Nacht aufstehen, die Mutter kann mal schlafen, Vater und Kind erleben von Anfang an große Nähe, Milchersatznahrung ist sättigender als Brustmilch, das Kind schläft nachts besser –, das hat uns niemand, am allerwenigsten Tiits erzählt.
Dick, der Mann, begann seinen Vortrag damit, dass siebzig Prozent aller Männer im Innersten einen Jungen haben wollten, aber das nur in anonymen Befragungen zugeben würden. Er sagte nichts darüber, ob der entsprechende Wunsch auch für die Mütter galt und was möglicherweise der Grund dafür war, sondern er fuhr fort zu sagen, dass es eigentlich nicht so wichtig ist, den Vaterschaftsurlaub zu nehmen. Wichtig sei allein die qualitative Gegenwart. Dick erzählte, dass er Männer kannte, die eine eigene Firma hatten, die keinen einzigen Tag Elternzeit genommen hätten und denen es dennoch gelungen sei, da zu sein, wenn die Kinder wach waren.
Dann war Pause. Ich wollte den Verdacht, dass sich vielleicht doch nicht alles regeln ließ, nicht zur Gewissheit werden lassen. Es war schon so offensichtlich, ich konnte mich entscheiden, wie ich wollte, ich machte es falsch.
Heute kann ich über den Vortrag von Pimmel lachen. Kein Wunder, dass so viele Paare sich schon vor dem ersten Geburtstag des Kindes scheiden lassen. Für mich und Johan war sein Vaterurlaub die Rettung. Erst da hat er verstanden, was es heißt, als Vater Verantwortung zu übernehmen. Eigentlich müssten die Männer länger zu Hause bleiben als die Frauen, weil wir schon den biologischen Vorsprung des Austragens und der Geburt haben. Männer brauchen länger, damit diese Erfahrung unter die Haut geht.
Und doch muss ich tapfer gegen das leise Gefühl von Egoismus ankämpfen, das sich immer dann meldet, wenn ich gegen Sigge entscheide. Wenn ich weiterarbeiten will, anstatt Sigge früher aus der Kita abzuholen. Wenn ich mit Freunden ein Glas Wein trinken gehen will, anstatt Sigge ins Bett zu bringen. Wenn ich allein nach Teneriffa fahren
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