Bitterfotze
trotz meiner Tausend Fragen an keine Einzelheiten. Hattest du Angst? War Papa dabei? Waren die Hebammen freundlich?
Ich habe noch nie eine Frau getroffen, die sich so wenig an ihre Entbindungen erinnert.
Als Sigge ein paar Monate alt war, kam Mutter zu Besuch, und wir tranken Kaffee. Sigge lag zufrieden in seinem Wagen, und meine Mutter war erstaunt, wie ruhig und fröhlich er war. Sie hatte mir ganz oft erzählt, wie viel ich geschrien und wie wenig ich geschlafen habe, sodass sie schließlich mit mir zu einem Kinderarzt gegangen war. Als meine Mutter die Geschichte schon wieder erzählen wollte, wurde ich ärgerlich.
»Ich habe wohl so geschrien, weil ich Angst hatte«, sagte ich hart. Meine Mutter schaute erst Sigge und dann mich an.
»Ich konnte mich wohl nicht an dich binden, weil ich so sehr trauerte.«
In diesem Moment war ich bereit, alles zu verzeihen. Typisch, dass ich sie immer für eine Selbstverständlichkeit gehalten habe. Typisch, dass ich mich hauptsächlich über sie ärgerte, über sie, die trotzdem immer da war. Immer.
Zeit für eine Bitterfotzenwarnung.
In diesem verfluchten Patriarchat ist es schwer genug, Mutter zu werden. Die Mutterrolle und das verdammt schwere Gepäck, das dazu gehört, sollte niemand allein tragen müssen.
Und doch sitzen Frauen da, eine Generation nach der anderen, frisch entbunden und verlassen. Neben ihnen steht im besten Fall ein verwirrter Mann, dem man eingeredet hat, dass er seiner Verantwortung als Vater Genüge tut, wenn er die Nabelschnur durchschneidet.
Es ist traurig, aber das Mutterwerden scheint das schwierigste Gleichstellungsprojekt überhaupt zu sein. Es ist offenbar nicht möglich, gleichzeitig gegen eine biologische Ungleichheit und eine noch größere soziale und kulturelle Ungleichheit zu kämpfen. Und das alles ist umgeben von einer Sehnsucht und einer Liebe zu deinem Kind, die größer und stärker ist als alles, was du bisher erlebt hast.
Wenn du dann noch die Welt mit feministischen Augen siehst, ist es fast nicht auszuhalten. Es ist wie im Film Matrix – wenn du die Wahrheitspille genommen hast und in deinem Kokon aufwachst, in einer viel hässlicheren Welt, dann gibt es kein Zurück.
Wenn wir aufwachen und die Wirklichkeit so sehen, wie sie ist, dann schieben viele das auf den Feminismus. Sie stellen alles auf den Kopf und meinen, es seien die Visionen der Feministinnen, die zu hohe, widersprüchliche Forderungen stellen, und dass diese die doppelt belasteten Frauen kaputt stressen. Dass alles so viel einfacher war, als die Frauen Hausfrauen waren, ohne Ansprüche an eine eigene Karriere. Als die Selbstverwirklichung der Frauen in der Mutterschaft und einem ordentlichen Zuhause bestand. Heute arbeiten die meisten Frauen zweifach, sowohl im Haus als auch im Job. Aber wenn wir gleichberechtigt leben würden und die Männer ihren Teil der Verantwortung für die Kinder und den Haushalt übernehmen würden, dann wären die Frauen nicht so gestresst. Wenn man den Feminismus als eine Widerstandsbewegung sieht und als den einzigen Weg zu einer möglichen Befreiung, dann muss man die Schwierigkeiten vielleicht akzeptieren?
Es tut nämlich immer weh, Widerstand zu leisten.
Dass die Gefühle, die mich erfüllten, als ich Mutter wurde, mich verwirrten, ist vorsichtig ausgedrückt. Ich glaube, ich habe nie größeres Glück, größere Dankbarkeit und größere Bitterkeit empfunden. Alles gleichzeitig.
Als Johan schließlich in Elternzeit ging, veränderte sich langsam, aber sicher unser Leben. Plötzlich hatte Johan alles unter Kontrolle, von was im Kühlschrank fehlte über eine neue Winterjacke für Sigge bis dazu, welche Geschichte unser Sohn am liebsten hörte. Plötzlich kam ich nach Hause, war fröhlich und angefüllt mit Geschichten aus der Welt da draußen, zu einem müden Johan, der Entlastung brauchte.
Und doch ist es seit Jahrtausenden so eingerichtet, dass die Mütter eine engere Beziehung zu den Kindern haben sollen und auch haben. Die eventuelle Gegenwart der Väter ist ein Bonus, für den wir dankbar sein sollten. Und die meisten Väter saugen stolz die Dankbarkeit auf, im festen Wissen, dass sie bald wieder ganztags arbeiten. Sie können davon ausgehen, dass der im Schnitt zwei Monate lange Vaterschaftsurlaub nur ein aufregendes Gastspiel ist.
Vielleicht ist es die Sicht auf den Vaterschaftsurlaub als außerordentlichen Vorgang, der mich so bitterfotzig macht? Mein Mutterschaftsurlaub wird als selbstverständlich angesehen.
Im
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