Bitterfotze
hätten. Aber ich muss doch immer wieder denken, dass so vieles hätte anders laufen können, trotz der unglücklichen Umstände und der Stresssituation.
An einem Donnerstagmorgen haben wir einen Termin bei der Familienberatung. Unsere Freunde Patrick und Jens sind Babysitter, sie werden eine Stunde lang mit Sigge in den Park gehen. Die Therapeuten sind ein Paar mittleren Alters, ein Team. Sie heißen Maggan und Mats, Johan und ich grinsen nervös über ihre professionelle Freundlichkeit. An den Wänden hängt Webkunst, ein Teppich mit groben, starrenden Gesichtern. Maggan erzählt eine lange Geschichte über die Entstehung des Bildes, eine Freundin von ihr hat es gewebt, es stellt das notwendige Chaos des Lebens dar. Wir hören zu, nicken höflich.
»Also«, sagte Mats, »möchtest du, Sara, uns erzählen, warum ihr hier seid?«
»Ja«, antworte ich. »Wir sind in einer Krise, weil Johan so viel weg war und gearbeitet hat, ausgerechnet als unser erstes Kind auf die Welt kam. Es war viel schwieriger, als ich es mir je hätte vorstellen können, ich kam mir verlassen und ungeliebt vor, und ich habe das Gefühl, dass Johan überhaupt nicht verstanden hat, wie anstrengend alles war.«
Maggan und Mats nicken und schauen Johan an, der fortfährt.
»Ich finde auch, dass es ungut war, dass ich so viel gearbeitet habe und verreist war, als Sigge noch ganz klein war, aber ich hatte keine andere Wahl. Ich hatte einen Vertrag unterschrieben und konnte nicht zurück.«
Maggan und Mats nicken wieder.
Am Anfang erzählen wir vorsichtig und nachdenklich. Ein ruhiges Tennisspiel, das gerade angefangen hat und bei dem beide den Gegner kennenlernen wollen. Aber allmählich verändert sich das Tempo, ermuntert von Maggans und Mats’ Schweigen und dem verständnisvollen Nicken. Bald sind wir in einem rasenden Sturm, die Worte strömen nur so hervor, wir sind hochrot von den Gefühlen, die durch das Zimmer mit dem gewebten Bild ziehen. Schließlich schweigen wir, und Maggan und Mats schauen uns mit ausdruckslosen Gesichtern an. Ob man das als Therapeut wohl lernen muss, nicht zu zeigen, was man denkt? Mats streicht sich mit der flachen Hand über das rechte Bein, wie um es zu beruhigen. Maggan leckt sich die Lippen und schaut mich an, als sie zu sprechen anfängt.
»Wenn ich euch zuhöre, dann fällt mir auf, dass immer wieder das Wort ›Gerechtigkeit‹ fällt. Es scheint ein wichtiges Wort für euch zu sein, eine Art Leitwort?« Wieder hebt sie ihre sauber gezupften Augenbrauen, um die Frage zu verstärken.
»Ja«, antworte ich.
»Ja«, sagt Johan.
Maggan lächelt und schaut Mats an, der nicht mehr mit der Hand über seine Hosen streicht und Maggan anlächelt. Ein stilles Einverständnis.
»Das hören wir oft von Paaren, die zu uns kommen. Ihr seid nicht die Einzigen, die Probleme mit der sogenannten Gerechtigkeit haben«, sagt Mats. »Maggan und ich sagen immer das Gleiche, in einer Liebesbeziehung Gerechtigkeit zu fordern, das könnt ihr vergessen. Ihr müsst einfach akzeptieren, dass Gerechtigkeit in einer Liebesbeziehung ein unerreichbares Ziel ist. Das geht nicht!«
Johan schaut mich an, ich schaue Mats und dann Maggan an, um zu verstehen, was er gerade gesagt hat. Ich weiß nicht, was ich sagen soll, und bevor ich weiterdenken kann, fährt Maggan fort.
»Und dass Johan so viel arbeitet, das ist wohl schon seit der Steinzeit so. Männer haben zu allen Zeiten die Verantwortung getragen, sie haben gejagt und für das Essen gesorgt.« Sie lächelt uns beide breit an.
Ich lächle zurück, ein Lächeln, das größer wird und sich in ein hysterisches Grinsen verwandelt. Ich traue mich nicht, Johan anzuschauen, denn ich weiß, dass wir uns nicht halten könnten vor Lachen, wenn wir uns jetzt in die Augen schauten. Ich sehe aus den Augenwinkeln, dass Johan damit kämpft, geradeaus auf das gewebte Bild zu starren. Er sitzt unnatürlich gerade und hält den Kopf ruhig, aber seine Schultern bewegen sich vor unterdrücktem Lachen.
»Ja, und Frauen sind zu allen Zeiten zu Hause in der Höhle geblieben und haben auf die Kinder aufgepasst, während die Männer gejagt haben. Wenn ich also meine Karriere aufgebe und Hausfrau werde und auf alle blöden Forderungen nach Gerechtigkeit verzichte, dann brauchen wir uns auch nicht mehr zu streiten! Das ist ja wunderbar! Vielen Dank, ihr habt unsere Krise gelöst, warum sind wir da nur nicht selbst drauf gekommen!«, sage ich und lächle Maggan und Mats breit an, die wiederum Johan
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