Bitterfotze
entdecke ich, dass ich nicht mehr einfach nackt herumlaufen kann. Wir sind an einem Badeplatz, ich habe eine Badehose an, aber kein Oberteil, das meine Minibrüste bedeckt. Ich bin neun Jahre alt, niemand sagt etwas, aber ich weiß plötzlich, dass es so ist. Spüre ich es vielleicht in den Blicken?
Ich stehe oft vor dem Spiegel in der Diele und schaue mich an. Versuche zu verstehen, wie jemand so schrecklich hässlich wie ich sein kann. Meine Haare sind mausfarben und hängen in Strähnen herunter, die kaum zu den Schultern reichen. Ich schürze die Lippen, sperre die Augen auf, damit sie größer aussehen, mache alle möglichen Grimassen, aber es hilft nichts. Ich weiß, dass es nichts hilft, doch ich versuche es immer wieder, hoffe, dass sich etwas verändert hat, vielleicht an diesem Tag.
Eines Morgens stehe ich vor dem Spiegel und versuche meine Haare zu einem Pferdeschwanz hochzuhalten, als mein Vater kommt und sich neben mich stellt. Ich geniere mich, aber ich sehe, dass er mich anschaut, richtig anschaut. Seine Augen sind warm braungelb genau wie meine, ich habe seine Augenfarbe geerbt.
»Du bist hübsch, wenn du die Haare so hoch hast«, sagt er und schaut mich immer noch an.
»Na ja …«, sage ich zögernd. Es ist merkwürdig und ungewohnt.
»Doch, da sieht man dein hübsches Gesicht«, sagt er, geht in die Küche und zündet sich die erste Morgenzigarette an.
Ich bleibe mit offenem Mund stehen, verblüfft über das Unerhörte, was gerade geschehen ist.
Mein Vater hat gesagt, ich sei hübsch! Ich schaue mich im Spiegel an und binde die Haare zu einem Pferdeschwanz. Versuche zu sehen, ob es stimmt, was er gesagt hat, dass ich ein hübsches Gesicht habe. Vielleicht stimmt es ein kleines bisschen? Vielleicht bin ich ein kleines bisschen weniger hässlich mit hochgesteckten Haaren?
Manchmal geschehen kleine Wunder. So fährt mein Vater an einem Sonntag mit uns ins Schwimmbad. Sonst fährt immer meine Mutter mit uns. Sie schwimmt ihre Bahnen, während wir im flachen Kinderbecken spielen. Ich liebe das Schwimmbad, vor allem mag ich es, hinterher mit all den nackten Frauen in der heißen Sauna zu sitzen, sie unterhalten sich und schwitzen.
An diesem Sonntag, als Vater mitkommt, spielt er mit uns im Kinderbecken. Er ist ein Krokodil und schwimmt unter Wasser und jagt uns. Wir schreien vor Begeisterung und Vergnügen. Es ist so fantastisch, dass er mit uns spielt und dass es endlich passiert. Jetzt. Ein einziges Mal.
Die ständige Sehnsucht, die ständige Frustration sind ansteckend und breiten sich aus. Sie sind der Grund, dass meine Schwester und ich viel streiten. Ich habe Kratzspuren an den Armen, eine Lehrerin zeigt auf meine Wunden und fragt, ob wir uns eine Katze angeschafft haben. Ein anderes Mal halte ich Kajsas Finger so fest und drücke sie nach hinten, dass sie brechen, sie muss ins Krankenhaus und bekommt einen Gips. Da schäme ich mich tatsächlich, aber ich kann trotzdem nicht Entschuldigung sagen.
Ständige Verachtung in einer Abwärtsspirale, sie beginnt damit, dass mein Vater meine Mutter verhöhnt.
»Es heißt ›akzeptieren‹ und nicht ›atzeptieren‹! Lern doch endlich richtig zu sprechen!«, sagt er mit einem gemeinen Grinsen auf den Lippen, und meine Mutter verteidigt sich nicht, schweigt wie immer.
Die Verachtung ist ansteckend, und lange Zeit glaube ich ihm, wenn er sagt, dass meine Mutter blöd ist. Sogar meine Mutter scheint es zu glauben. Hin und wieder taucht er aus der Rauchwolke auf, die ihn ständig umgibt.
»Bitte, Papa, rauch nicht, wenn wir fernsehen!«, bitten Kajsa und ich mit den Nasen im Pullover, um dem beißenden, stinkigen Geruch zu entgehen.
»Hört, hört! Ich bezahle hier alles. Es ist mein Haus, und in meinem Wohnzimmer rauche ich, so viel ich will!«, antwortet er ärgerlich und qualmt weiter seine Prince.
Er ist unser allmächtiger Vater, gefürchtet und bewundert. Einer, nach dem man sich ein Leben lang sehnt.
Immer eine schlechte Haltung, immer kratzt etwas, und erst als ich elf bin, gibt es eine Veränderung. In der fünften kommt Cecilia in unsere Klasse. Cissi mit langen roten Haaren und Nasenflügeln, die flattern, wenn sie lacht. Cissi, die aus einem Grund, den ich nie verstehen werde, meine Freundin sein will. Die über alle meine Scherze lacht und findet, ich sei die lustigste in der ganzen Klasse. Die nach der Schule auf mich wartet, damit wir zusammen gehen können. Die von da an meine Freundin fürs Leben wird.
Mit Cissi an meiner
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