Bitterfotze
meine Mutter mit der ganzen Familie zu einem richtigen Fotografen gehen und Studiofotos machen lassen. Ich will es auch, ich denke an die Familie Cosby im Fernsehen. Die sind immer glücklich. Gläubig und glücklich. Ich möchte so furchtbar gern, dass unsere Familie auf einem Foto glücklich aussieht. Meine Mutter strahlt und versucht, mich und meine Schwester hübsch anzuziehen, sie näht uns beiden eine Volantbluse aus einem alten Laken. Die Volants stehen ab, die Nähte sind schief, Mutter hatte es eilig, als sie die Blusen für uns nähte, aber ich will nicht mit ihr streiten, wo sie sich so freut. Am Abend vor dem Fototermin fällt ihr ein, dass sie unsere Ponys schneiden will, sie sind zu lang und hängen uns in die Augen. Sie nimmt eine Schere und schnippelt im Zickzack durch unsere Haare. Es wird schief, Mutter kann keine Haare schneiden, schon gar nicht den Pony. Wir sagen immer noch nichts, streiten nicht einmal miteinander, wir lächeln immer noch brav. Es ist so ungewöhnlich, dass unsere Mutter fröhlich und munter ist. Sie steht vor dem Spiegel und schminkt sich den Mund zur Probe mit einem neu gekauften rosa Lippenstift.
Am nächsten Morgen will Vater nicht mitkommen. Wir sitzen am Frühstückstisch und essen Toast mit Orangenmarmelade, Mutter schenkt ihm Kaffee nach.
»Bitte«, sagt Mutter verzweifelt, »wir haben doch einen Termin vereinbart und alles.«
Aber Vater lässt sich nicht bewegen und sagt, er sei zu müde. Mutter stellt sich mit dem Rücken zu uns an die Spüle. Vater zündet sich eine Zigarette an und lehnt sich im Stuhl zurück, ich kann nicht mehr sitzen bleiben. Ich gehe in den Flur, sehe mich im Spiegel und fange an zu weinen, als ich sehe, wie schief mein Pony ist, wie hässlich ich bin. Meine Schwester kommt und fragt mich, warum ich weine, und ich schreie, ich weine, weil wir so hässlich sind, alle miteinander.
»Mama!«, schreit Kajsa. »Mama! Sara sagt, ich bin hässlich!«
Sie stellt sich neben mich vor den Spiegel und fängt auch an zu weinen, als sie sich im Spiegel sieht.
»Jetzt beruhigt euch doch!«, schreit meine Mutter aus der Küche und hebt meinen kleinen Bruder aus dem Kinderstühlchen.
»Du kannst von mir aus hier sitzen und sauer sein«, höre ich sie zu Vater sagen. »Aber wir gehen zum Fotografen. Und ich nehme das Auto!«
Es wird still, Kajsa und ich hören auf zu weinen. Das Auto gehört ihm und Mutter darf es fast nie nehmen. Das hat er schon oft gesagt. Frauen fahren wie die Hühner, und außerdem hat er es bezahlt. Mutter mit ihrem kleinen Lohn würde es sich nie leisten können. Das weiß ich, denn Vater hat schon oft gesagt, dass Mutters Lohn keine Rolle spielt.
Wir warten gespannt auf den Ausbruch, aber es ist immer noch still in der Küche, Mutter kommt heraus und sagt zu uns, wir sollen die Schuhe anziehen, weil wir jetzt fahren. Dann sitzen wir im Auto, nur wir, ohne Vater, und plötzlich ist alles wieder wunderbar. Mutter macht das Radio an, sie spielen Carola, wir singen mit, bis wir beim Fotografen ankommen.
Wir sollen uns vor einem dunkelblauen Hintergrund aufstellen, den kleinen Bruder zwischen uns. Meine Mutter will nicht mit aufs Bild, weil Vater nicht dabei ist, es wird ein Foto von uns Geschwistern. Hinterher bekommen wir an der Würstchenbude auf dem Marktplatz alle eine heiße Wurst mit Brötchen. Es ist ein warmer Sommertag, und wir sind noch den ganzen Nachmittag und Abend fröhlich und streiten uns nicht, obwohl mein Vater nicht zu Hause ist, als wir kommen.
Nach ein paar Tagen bekommen wir das Foto, wir sind wirklich hässlich, alle drei. Zerzaust und schief geschnitten, mit traurigen Augen. Wir lächeln steif, sogar unser kleiner Bruder, der erst zwei ist, sieht gekünstelt aus. Aber Mutter ist vollauf zufrieden, sie rahmt das Bild und hängt es auf. Ein paar Abzüge packt sie in Geschenkpapier ein, das werden Weihnachtsgeschenke für die Oma und Verwandte.
Es ist August, und die Ferien sind noch nicht vorbei. Die Abende sind warm, und Mutter und die Nachbarsfrau Gunilla sitzen oft im winzigen Vorgarten unseres Reihenhauses, sie rauchen und trinken Rosita mit Limonade. Sie sitzen auf hässlichen weißen Gartenstühlen aus Plastik, wir laufen vorbei und nehmen ab und zu eine Handvoll Chips aus der Schale auf dem Tisch. Wir spielen Räuber und Gendarm, ich laufe nicht besonders schnell, aber ich kann mich gut in den Büschen verstecken, die anderen, die mich jagen, laufen vorbei und sehen mich nicht.
In diesem Sommer
Weitere Kostenlose Bücher