Bitterfotze
sind alle ihren Männern zugewandt, mit dem Körper und dem Blick. Die Männer sitzen entweder abgewandt oder schauen geradeaus. Bisher habe ich kein einziges Paar gesehen, wo der Mann der Frau zugewandt ist. Sogar wenn sie sich gegenübersitzen, ist sein Blick irgendwo weit weg am Horizont, während ihre Aufmerksamkeit bei ihm ist. Ständig bereit zu lächeln oder etwas zu erwidern.
Am fröhlichsten sehen zwei Frauen mittleren Alters aus, die an einem Tisch voller Blumen und Kerzen sitzen. Ich bemerkte sie, als ich den Plopp aus einer Sektflasche hörte, die der Kellner servierte. Vermutlich hat eine von ihnen Geburtstag. Von so etwas wird mir ganz warm. Wie schön. Ich sehe, wie sie sich mit hochroten Gesichtern zuprosten. Vielleicht fühlen sie sich wie ich außerhalb dieses Paarghettos? Abgesehen von diesen beiden bin ich nur von Paaren umgeben, Paaren und ganz wenigen Familien mit kleinen Kindern.
Vielleicht sind es Witwen? Oder geschieden, weil sie ohne Männer da sind? (Sie sehen ein bisschen zu bieder aus, um lesbisch zu sein, obwohl das nur mal wieder eines von meinen unzähligen Vorurteilen ist.) Ist man Frau und mittleren Alters, dann reist man einfach nicht ohne seinen Partner, wenn man denn einen hat. Es ist zumindest äußerst ungewöhnlich. Und eigentlich gilt es auch für mich. Männer reisen allein durch die Welt, ohne dass jemand eine Augenbraue hebt. Aber wenn Frauen das machen, egal welchen Alters, dann fragen die Leute sich, ob etwas nicht stimmt.
Als ich den Frühstücksraum verlasse, sehe ich den fröhlich gestikulierenden Mann. Er steht mit seiner Frau auf der Terrasse und schaut aufs Meer. Er gestikuliert auch jetzt wie wild, als ob er wirklich etwas zu erzählen hätte, hat er ja vielleicht auch. Und wenn es nicht der Fall ist, so liebe ich ihn, weil er es wenigstens versucht. Sie sieht wie gesagt fröhlich aus und nicht so vergrämt wie die anderen Frauen hier in La Quinta Park. Wenn ich mich unter den Paaren hier im Hotel umschaue, dann ist es tatsächlich so, dass die Frauen reden, sogar die vergrämten versuchen noch, eine Konversation aufrechtzuerhalten.
Ich frage mich immer: Woran denken sie wohl, die schweigenden Männer? Fast nichts provoziert mich so sehr wie schweigende Männer. Ein merkwürdiger Kontrast dazu, wie laut Männer häufig in anderen Zusammenhängen sind. Warum verstummen sie so oft in engen Beziehungen? Nichts ängstigt mich so sehr, wie wenn Johan schweigsam wird und abschaltet.
Eine körperliche Erinnerung, von der ich eine schlechte Haltung bekomme und juckende Ekzeme. Ich bin plötzlich sieben Jahre alt und erdrückt vom Schweigen zwischen meinen Eltern. Es enthält alles. Es ist bedrohlich und voller Nichtbegegnungen. Eine organisierte Form des ungelebten Lebens.
Eine körperliche Erinnerung, die mich für immer überempfindlich gemacht hat für das Schweigen zwischen Menschen.
Schweigende Menschen machen mich unsicher, und ich verachte sie. Ich klassifiziere sie sofort als geizig.
Als Isadora frisch verheiratet mit ihrem Mann über Weihnachten nach Paris reist, verstummt er plötzlich.
Während der ganzen langen Fahrt von Heidelberg nach Paris sprach Bennett fast kein Wort mit mir. Schweigen ist die stumpfeste aller stumpfen Waffen. Es ist, als würde ein Rammklotz einen in den Boden treiben – als treibe dieses Schweigen einen immer tiefer in sein eigenes Schuldgefühl hinein. Die innere Stimme klagt einen bitterer an, als eine Stimme von außen das je tun könnte.
Ich weiß genau, was du meinst, Isadora. Hätte ich nur als Zeugin neben dir gesessen. Eine Freundin, die dir versichert hätte, dass du nichts getan hast, womit du sein bestrafendes Schweigen verdient hättest. Eine Freundin, die dir sagen könnte: »Jetzt pfeifen wir auf diesen schweigsamen Trottel. Soll er doch hier im Hotel bleiben und schmollen. Komm, wir gehen aus und trinken französischen Rotwein!«
Aber ich bin nicht dabei im Hotelzimmer in Paris, und Isadora wird immer verzweifelter. Nach Stunden des Schweigens fragt sie Bennett, was sie getan hat. Bennett antwortet nur, sie solle es vergessen.
»Was vergessen?«, fragt Isadora mit lauter Stimme, und Bennett sagt, sie solle ihn nicht so anschreien.
Es ist mir scheißegal, was du willst oder nicht willst. Ich will anständig behandelt werden. Vielleicht hättest du zumindest die Güte, mir mitzuteilen, warum du so ’ne Scheißlaune hast. Und sieh mich nicht so an …
»Wie?«
»Als ob es die schwerste Sünde wäre, dass ich
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