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Bitterfotze

Bitterfotze

Titel: Bitterfotze Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maria Sveland
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es fünf vor acht war, wurde mir klar, entweder würde ich ermordet werden oder ich musste die Angelegenheit selbst in die Hand nehmen. Großmutter konnte jeden Moment kommen. Ich packte schnell ein paar Kleider in eine Tasche und lief weinend zu meiner Mutter.
    »Ich muss für eine Weile verreisen, ihr wollt mir ja offensichtlich nicht helfen«, sagte ich vorwurfsvoll und kam mir klein und verlassen vor.
    »Ja, das ist vielleicht das Beste«, sagte Mutter gleichgültig und umarmte mich zum Abschied.
    Mein Vater war immer noch in der Garage, als ich das Haus verließ und zum Bus lief.
    Jetzt liege ich hier im Bett und denke, es stimmt. Sie konnten mich nie schützen. Ein vertrautes Gefühl, allein und verlassen zu sein. Immer juckt etwas, immer diese schlechte Haltung. Das Abitur war einer der glücklichsten Tage meines Lebens – der Tag, an dem ich die Ungeborgenheit verlassen konnte, den alten Käse, die hässlichen Tapeten und das zerschlissene Ledersofa, den staubigen Teppichboden, der meine Augen rot werden und brennen ließ. Der Tag, an dem ich endlich von meiner Familie befreit wurde.
    Ich gehe auf den Balkon und sehe, wie die Sonne über dem Meer aufgeht. Ich spüre die Wärme in der Luft, obwohl es erst halb sieben am Morgen ist. Dass es so sein kann. Das Leben. Unsagbar schön und traurig und schrecklich und durch und durch gut. Ich sitze auf dem Balkon und schaue übers Meer, bis der Frühstücksraum geöffnet wird.
    Ich fülle meinen Teller mit frischer Wassermelone, kringle Honig über das gute fette Joghurt, nehme mir zwei frische Brötchen und belege sie mit salzigem Räucherschinken. Heißen, schwarzen Kaffee und süßen Orangensaft. Langsam vergeht die Wehmut, und ich werde wieder gut gelaunt. Vor allem die Wassermelone, die macht mich wirklich glücklich. Ich bezweifle, dass man Angst haben kann, wenn man jeden Tag frische Wassermelone zum Frühstück bekommt.
    Nach dem Frühstück lege ich mich in einen Liegestuhl an den Pool und lese. Neben mir liegt eine englische Familie mit kleinen Kindern. Die Eltern sind in meinem Alter, sie haben einen Jungen und ein Mädchen. Sie unterhalten sich, während die Kinder am Rand des Pools spielen, und mich durchfährt ein Stich Sehnsucht nach Sigge. Aber dann passiert etwas. Der kleine Junge, der Georgie heißt, will um den runden Pool herumlaufen. Der Vater steht auf und ruft: »Come her, Georgie! Georgie! Georgie! I’ll count to three. One! Two! Three! … Well done! Good boy!«
    Die Mutter trocknet das Mädchen, Jessica, ab und will ihr vorlesen, aber Jessica will lieber mit ihrem Bruder um den Pool laufen. Ich sehe, wie die Mutter sie zu sich zieht und am Knie festhält.
    »The Pink Princess. The pink princess was always dressed in pink. One day when she walked in the forest …« Plötzlich hört sie auf zu lesen.
    »Jessie! What have you done? You broke Mummies sunglasses! Oh! Why, Jessie? Why!«
    Man hört ihre Stimmen am ganzen Pool, und man kann nicht umhin, ihre offen gezeigte Frustration zu bewundern. Keine Heile-Familie-Heuchelei. Der Vater geht mit großen Schritten zur jammernden Mutter.
    »Look what she did! She broke my sunglasses!«, sagt sie empört zu ihrem Mann.
    Ich versuche, den inzestuösen Tonfall zu überhören, sie redet, als sei sie seine Tochter, ein kleines Mädchen und keine ebenbürtige Partnerin. Aber ihr Mann beteiligt sich souverän am Spiel als der allmächtige Vater.
    »Jessie! Why do you ignore Mummy! Say you’re sorry!«
    Da höre ich nicht mehr zu und gehe aufs Klo. Als ich zurückkomme, ist alles wieder ruhig, und ich höre, wie die Mutter dem kleinen Georgie erklärt, dass »Tomorrow we’re going back to England«.
    Aber es gibt auch Ausnahmen von der Familienhölle. Eine finnische Familie, die heute ankam und richtig nett und fröhlich aussieht. Der Vater, angezogen mit schwarzem T-Shirt und beigen Shorts, flitzte hin und her und holte Liegestühle, damit alle nebeneinanderliegen und sich sonnen konnten. Als die ganze Familie saß, stellte er sich ein paar Meter entfernt auf und holte eine Digitalkamera aus der hellblauen Taillentasche. Er sah so stolz aus, als er seine Familie fotografierte. Ich bin sicher, er ist ein Mann, der seinen Kindern Orangen schält. Und seiner Frau.
    Männer, die Orangen schälen, sind im öffentlichen Raum ausgesprochen selten. Genau wie Männer mit einer Lunchbox für die Mittagspause selten sind. Ich liebe Männer, die Orangen schälen. Orangenschälen hat etwas Sorgfältiges, es ist

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