Bitterfotze
genießen. Wie schwer es mir fiel, alles loszulassen, mein altes Leben, und nur im Hier und Jetzt zu sein.
Ich erinnere mich voller Scham an meinen dritten Besuch in der Krabbelgruppe. Ich hatte eine Zeitung dabei und hoffte, Sigge würde ein bisschen alleine spielen, damit ich in Ruhe lesen konnte. Die anderen Mütter saßen wie immer auf dem Boden, zehn Zentimeter von ihren Babys entfernt, ich setzte Sigge auf den Boden und ließ mich zwei Meter weiter weg auf ein gemütliches Sofa sinken. Sigge krabbelte sofort auf dem Boden herum und untersuchte die Spielsachen, ich schlug meine Zeitung auf und fing an zu lesen. Ich war gerade mitten in einem Artikel über den Führungsstil von Göran Persson, als ich plötzlich merkte, dass um mich herum Stille herrschte. Die Unterhaltungen hatten aufgehört, und als ich von der Zeitung aufschaute, sah ich, dass fünf Bodenmütter mich böse anstarrten. Ich sah, dass Sigge zufrieden an einem gelben Plastikfisch lutschte, und verstand erst gar nicht, was los war. Was hatte er gemacht? Was hatte ich gemacht?
Ich hatte mich auf ein Sofa gesetzt und war einen halben Meter über den Fußbodenmüttern. Ich hatte getan, was viele Männer in der Krabbelgruppe tun. Als Mutter durfte ich das nicht. Eine halbe Minute versuchte ich, das Schweigen zu ignorieren, dann gab ich auf, verließ das Sofa und setzte mich auf den Boden, zehn Zentimeter von Sigge entfernt.
Die Bodenmütter nahmen ihre Gespräche wieder auf, über todlangweilige Themen wie Durchschlafen, Gewichtszunahme und Koliken. Ich lächelte sie vorsichtig an, aber keine lächelte zurück. Ich hatte deutlich gezeigt, dass ich keine von ihnen sein wollte, und jetzt war ich nicht mehr willkommen.
Ich bin nie wieder in die Krabbelgruppe gegangen.
So im Nachhinein kann ich sie fast verstehen. Meine ständigen Versuche zu fliehen hatten tatsächlich etwas Trauriges. Ich werde auch ärgerlich, wenn ich einen Vater mit diesem abwesenden Blick sehe, während das Kind schreit und versucht, seine Aufmerksamkeit zu erregen. Auf alle Väter, die Zeitung lesen, während die Kinder Kontakt suchen. Der große Unterschied ist, dass die Abwesenheit der Väter nicht so kritisch gesehen wird wie die der Mütter.
Rosita bestellt uns noch zwei Bier, und ich danke ihr fröhlich. Ich bekomme plötzlich Lust, mich zu betrinken und alle unangenehmen Gedanken zu vergessen.
»Can’t you take me to a place where we can dance?«, frage ich.
»Bueno!!«, schreit Rosita, »of course!!!«
Sie nimmt mich auf ihrer Vespa mit, ich halte mich an ihrer starken Taille fest. Ich atme die Meeresluft ein und mache die Augen zu, damit ich nicht sehe, wie Rosita die lebensgefährlichen Kurven nimmt, ohne abzubremsen.
Wir landen in einer Disco, ich nehme an, es ist eine echte Teneriffadisco, mit schlechtem Musikmix und viel zu starken Drinks. Aber ich will mich ja betrinken, also schlürfe ich meinen Gin Tonic in großen Schlucken. Rosita lacht und zieht mich auf die Tanzfläche.
Wir tanzen wie die Affen, wild und mit großen Bewegungen, wir nehmen uns viel Platz. Madonna singt, dass sie eine Jungfrau ist, Bono über verfluchte Sonntage, wir lachen uns an und wetteifern, wer am hässlichsten tanzen kann. Ich glaube, dass ich gewinne.
Schließlich kann ich kaum mehr auf meinen schmerzenden Beinen stehen, ich setze mich an die Bar und schlürfe noch einen Gin Tonic. Rosita tanzt mit einem der wenigen Männer, die sich trauen. Sie tanzt jetzt ruhiger, mehr im Takt und zu seinen Bewegungen.
Der DJ spielt I’ll give you a lick with my razor tongue und ich sehe mehrere Männer, die zum Refrain die Zunge herausstrecken und schnelle Bewegungen machen. Rosita schaut zu mir herüber und verdreht die Augen. Ich auch.
Ich werde dich mit meiner Rasiererzunge lecken. Ich sehe mich um und versuche, jemanden zu finden, der die Zungennummer mit Humor macht, aber alle sehen ernst und erregt aus. Verfluchte Echsen.
Ich beschließe, genug getanzt zu haben, und gehe zu Rosita und umarme sie fest.
»Thank you, thank you, thank you!«, sage ich ihr ins Ohr.
Rosita lacht nur und drückt mich auch.
Im Taxi nach Hause muss ich die ganze Zeit lächeln. Ich bin so unglaublich zufrieden.
Ich sitze noch ein Weilchen auf dem Balkon und schaue in die Nacht und denke, das Leben ist doch ziemlich wunderbar. Im Moment bin ich eine Mutter, die genau das macht, was sie machen will. Ohne Schuldgefühle oder schlechtes Gewissen.
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NOCH EIN WENIG ZEIT
Wir kommen an einem
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