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Bitterfotze

Bitterfotze

Titel: Bitterfotze Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maria Sveland
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empfunden habe.
    Vater sortiert Werkzeuge. Er hängt sie an ihren Platz und wirft altes Zeug weg, Dinge, die kaputt sind.
    »Hallo, Papa«, sage ich.
    »Hallo!«, sagt er und schaut mich erstaunt an.
    »Soll ich dir helfen?«, frage ich und zeige auf den Haufen mit Sachen, die weggeworfen werden sollen.
    »Nein, nicht nötig«, sagt er und hört mit dem Aufräumen auf, »Sara … ich muss dir etwas sagen …«
    »Jaa? Was denn?«, frage ich und bin auf das Schlimmste gefasst. So ruhig und ernst habe ich ihn schon sehr, sehr lange nicht mehr gesehen. Wird er mir jetzt sagen, dass er Krebs hat? Etwas, das seine unerklärlichen Zornesausbrüche, seine Abwesenheit, seine Depressionen erklären könnte?
    »Also, leider muss ich dir sagen, dass deine Mutter und ich uns entschieden haben, uns scheiden zu lassen …«
    Er schaut mir gespannt ins Gesicht. Als würde er eine heftige Reaktion erwarten, einen Einwand.
    Ich denke an die vielen Male, wo ich meine Eltern angeschrien habe, ich wünschte mir, sie würden sich scheiden lassen. Vielleicht hat er das nie ernst genommen? Vielleicht hat er wirklich geglaubt, es sei gut, »wegen der Kinder« zusammenzubleiben?
    »Na prima«, sage ich, »das hättet ihr schon lange tun sollen.«
    Vater schaut mich schweigend an und beißt sich auf die Lippe. Sein Gesicht wird hart und verschlossen.
    Ich versuche zu erklären.
    »Ihr seid unglücklich, solange ich mich erinnern kann. Ich verstehe wirklich nicht, warum ihr euch nicht schon lange getrennt habt.«
    »Nee. Aber jetzt weißt du es«, sagt er, dreht mir wieder den Rücken zu und räumt weiter Werkzeuge auf.
    Ich rufe Krille an und bitte ihn, mich mit dem Auto abzuholen. Wir fahren zu ihm nach Hause, er streicht mir über die Haare, und ich weine. Er hält mich ganz fest, bis ich eingeschlafen bin.
    In der Schule habe ich Ärger mit meinem Schwedischlehrer. Er hat eine Glatze und trägt so Kulturfuzzi-Cordhosen, er kann nicht verbergen, wie toll anders er sich findet.
    Ich habe gerade festgestellt, dass unser Textlehrbuch außer Selma Lagerlöf keine Schriftstellerin enthält. Wir beschäftigen uns mit der klassischen Moderne, und ich frage, warum in dem ganzen dicken Buch weder Virginia Woolf noch eine Autorin vorkommt.
    »Die Autoren dieses Buchs«, sagt er mit ärgerlicher Stimme und hartem Blick, »haben die Schriftsteller ausgewählt, die am meisten für die Literatur bedeutet haben.«
    Ich weiß, wie unmöglich ich mich benehme, wie verheerend es für meine Noten ist, für das Verhältnis zu den Klassenkameraden, die mich jetzt schon anstrengend finden, aber ich kann es nicht lassen.
    »Ich würde gerne mehr über Virginia Woolf wissen, sie ist wichtig für mich.«
    Es ist wahr, ich hatte gerade Orlando gelesen, ich war fasziniert von Woolfs Sprache und Orlandos Reisen über die Grenzen der Zeit und der Geschlechter hinweg.
    Die Klasse seufzt, der Schwedischlehrer seufzt und sagt, er wird ein paar Seiten über Virginia Woolf kopieren, wenn mir das so wichtig sei.
    »Aber was die Moderne angeht, so sind Proust und Joyce erheblich wichtiger!«, sagt er, und ich hasse ihn, ich hasse immer mehr Leute und immer mehr Dinge.
    Ich habe das Abitur in der Tasche, mit miserablen Noten, und nach der Abiturfeier bin ich dennoch glücklich. Erfüllt von einem Freiheitsgefühl, auf das ich mein ganzes Leben gewartet und das ich herbeigesehnt habe.
    Ich bin vom frühen Morgen bis spät in die Nacht von Schampus berauscht. Alle Verwandten kommen, die Nachbarn und alle meine alten und neuen Freunde.
    Alle vertragen sich und scheinen sich zu freuen, sogar meine Eltern. Ich esse Sandwichtorte und strahle, weil ich weiß, dass ich am nächsten Tag zu einer einmonatigen Interrailreise aufbreche. Ich weiß plötzlich mit jeder Faser meines Körpers, dass für mich jetzt eine Art Hölle vorbei ist. Etwas Neues wartet, Europa und ein ganzes Leben!
    Am nächsten Morgen sitzen wir, meine vier besten Freundinnen und ich, zusammengedrängt in einem Zugabteil. Auf dem Bahnsteig stehen unsere Eltern und Geschwister.
    Ich sehe die dunklen Ringe unter den Augen meines Vaters und die Zigarettenfalten im Gesicht meiner Mutter. Sie sehen müde aus. Ich sehe meine geliebte Schwester und meinen wunderbaren kleinen Bruder. Ein Stich von Schuld durchfährt mich, ich rette mich und lasse sie in der Hölle mit meinen Eltern zurück. Aber ich will nicht, dass die Schuldgefühle das glückliche Freiheitsgefühl stören.
    Nicht jetzt.
    Ich bin auch müde und sehne mich

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