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Bitterfotze

Bitterfotze

Titel: Bitterfotze Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maria Sveland
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bin. Deswegen muss ich wegziehen. Ich wische Hintern ab und wechsle Hunderte von vollgepinkelten Windeln und wundere mich, warum die Hodensäcke von alten Männern so unglaublich lang sind. Fast einen halben Meter hängen sie runter. Jeden Abend ist irgendwo eine Party, plötzlich ist die letzte Zeit vorbei. Benjamin hat einen alten roten Volvo, den wir vollpacken.
    Mutter weint, als ich sie umarme, und Vater versteckt sich in der Garage, ich muss hinlaufen und »Tschüs Papa!« rufen.
    Er murmelt abwehrend als Antwort: »Ja, ja, Tschüs.«
    In Stockholm ist es Herbst, und ich bin so glücklich, dass es in der Brust schmerzt. Ein befreiender Schmerz, eine Erleichterung, endlich, endlich richtig erwachsen zu sein.
    Ich verbringe Stunden in meinem grünen Ikeasessel und wundere mich, wie großartig es sich anfühlen kann, eigene Brote zu essen, belegt mit Dingen, die ich selbst eingekauft habe. Philadelphia und Salzgurke. Ich koche immer wieder Tee und fülle ihn in meine neue Teekanne mit japanischen Zeichen drauf. Sie war teuer, aber sie ist schön und gehört mir. Ich freue mich, wenn ich sie auf meinem kleinen Tisch sehe, und trinke unendlich viele Tassen Tee in dem überheizten Zimmer, in dem vierundzwanzig Kerzen brennen, die ich auf jedem freien Zentimeter aufgestellt habe. Ich genieße es, in meinem grünen Sessel zu sitzen und filmwissenschaftliche Fachliteratur zu lesen. Dicke, teure Bücher auf Englisch, die ich nicht verstehe, aber ich lese sie dennoch andächtig und komme mir wichtig vor.
    Aber am allermeisten genieße ich das Alleinsein und die Stille.
    Benjamin möchte mich jeden Tag und jeden Abend treffen, ich sage, ich muss lernen, und habe das Gefühl, untreu zu sein. Es ist eine neue Erfahrung, mit mir zusammen zu sein, und mich verwirrt, dass ich meine eigene Gesellschaft der von Benjamin vorziehe. Ich liebe es, in meiner kleinen Wohnung umherzugehen, Musik zu hören, ein Buch zu lesen, zu kochen und vor allem, lange und ungestört Gedanken zu Ende zu denken. Ich lerne mich kennen und stelle fest, dass ich mich und meine Gedanken gar nicht so schlecht finde, dass ich ganz okay bin.
    Immer öfter finde ich, dass Benjamin stört, wenn er anruft und darauf besteht, vorbeizukommen. Immer öfter lüge ich und sage, ich hätte Fieber, Benjamin wird immer frustrierter. Ich höre es, und es macht mich noch unleidlicher.
    Eines Tages spricht mich auf der Kungsgatan ein Mann an, er sagt, er habe mich schon ein paarmal in der Stadt gesehen und ob ich mit ihm Kaffee trinken wolle. Will ich.
    Es ist so ein Tag, an dem ich müde bin und sauer, weil Benjamin anrief und darauf bestand, die halbe Nacht zu reden. Mir sind diese Art von Liebesbezeugungen zu viel. Während des ganzen Gesprächs sehnte ich mich danach, aufzulegen und weiter in Deirdre Bairs Biografie über Simone de Beauvoir zu lesen.
    Ich habe gerade Gemeinsamkeiten zwischen uns entdeckt. Wie ihr Vater seine Hand von ihr nahm, als sie elf war.
Der Konflikt wurde niemals offen ausgetragen, wir gingen immer sehr höflich miteinander um, aber jede wirkliche Verbindung zwischen uns war abgerissen. Etwa von meinem elften Lebensjahr an hatten wir uns praktisch nichts mehr zu sagen.
    Als sie zwölf ist, sagt ihr Vater, sie sei hässlich, und widmet nun seine ganze Aufmerksamkeit Simones kleiner Schwester Helene.
    Ich lese und wundere mich, welche Entscheidungen Simone für ihr Leben getroffen hat. Das Verhältnis zu Sartre, die Kinderlosigkeit, die Entscheidung zu studieren, zu arbeiten, zu schreiben.
    Ich denke darüber nach, was für ein Leben ich leben möchte.
    Solche Gedanken beschäftigen mich nun. Ich möchte mich damit beschäftigen. Jetzt, wo ich das erste Mal in meinem Leben die Möglichkeit habe, allein zu sein, hängt Benjamin wie eine Klette an mir. Aufdringlich und klebrig.
    Vielleicht gehe ich deshalb mit diesem Mann in ein Café, wo wir stundenlang sitzen und über das Leben und unsere Familien reden, über Bücher, die wir gelesen, und Filme, die wir gesehen haben. Er heißt Jesper, das Gespräch ist voller Gemeinsamkeiten, und mir wird ganz warm zumute. Schließlich ist es Abend, und wir gehen in eine Bar, reden weiter, ich bin so gut gelaunt, dass ich es nicht fertig bringe, mich zu verabschieden und nach Hause zu gehen.
    Ich weiß, dass Benjamin vermutlich siebentausendmal angerufen hat und sich fragt, wo ich bin, ich werde wütend, als ich spüre, dass er mich stört. Dass er über mich bestimmen will, in mein neues Leben eindringt.
    Es

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