Bitterfotze
geliebt fühlen, ohne die verdammten Ungerechtigkeiten zu ignorieren oder zu verdrängen?
Wollte ich weiterkämpfen und an eine mögliche Veränderung glauben? Daran glauben, dass es möglich war, in einer gleichberechtigten Beziehung zu leben?
Vielleicht.
Die Busfahrt zu unserem hässlichen Hotel führt wieder über schlingernde Serpentinen. Vor dem Fenster ist immer das Meer, voller Versprechen in seiner Unendlichkeit. Ich drehe mich um, lächele die Turkufrau an, die hinter mir sitzt. Sie schaut mich ernst an und holt tief Luft. Dann beugt sie sich vor und streicht mir über die Wange. Ihre Hand ist trocken und rau und voller Zärtlichkeit.
Ich schaue ihr in die Augen. Da ist Trauer, aber auch etwas anderes. Überlebenswille und Würde. Und da im Bus kommt es über mich. Plötzlich und voller Kraft. Eine Ernsthaftigkeit und ein Gefühl von Lebenswichtigkeit.
Es geht um das Leben, das Hässliche und das Großartige.
Mein Leben.
The revolution will not be televised.
Nee, Gott sei Dank nicht. Aber es ist Zeit für Veränderung.
Sonst will ich nicht mehr mitmachen.
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MITTEN IN DER NACHT
Isadora steht allein und ängstlich in ihrem Hotelzimmer in Paris und studiert ihren nackten Körper und versucht sich zu erinnern, wer sie ist. Sie kneift sich in die Brustwarze, studiert ihren runden Bauch, die Polster am Po, und sie denkt, dass sie ihren Körper trotz allem ganz gern mag.
Dann bemerkt sie die Notizen, die in einem einzigen Durcheinander auf dem Boden liegen, und fängt an zu lesen.
Und dann dämmerte mir eine merkwürdige Erkenntnis. Ich gab mir nicht mehr die Schuld an allem. So einfach war das. Vielleicht beruhte mein Davonlaufen gar nicht auf Bösartigkeit, noch war es als Treulosigkeit zu bezeichnen, für die ich Abbitte tun müsste. Vielleicht handelte es sich um eine Art Treue mir selbst gegenüber. Ein drastisches, jedoch notwendiges Mittel, mein Leben zu ändern. Man braucht sich nicht dafür zu entschuldigen, dass man seine eigene Seele besitzen will.
Nein. Man braucht nicht um Entschuldigung zu bitten, weil man seine Seele besitzen will. Aber warum ist es so schwer, loyal zu seiner Seele zu sein?
Manchmal fragt Johan mich, ob ich das Leben lebe, das ich leben will. Auf diese Frage antworte ich ziemlich selten mit Ja. Meine Vorstellung von einem glücklichen Leben enthält so viel gegensätzliches Wollen, dass man sie unmöglich in Übereinstimmung bringen kann.
Ich will mehr tanzen, mehr lieben, mehr mit Sigge und Johan zusammen sein, mich mehr mit meinen Freunden treffen, vielleicht einen Malkurs machen. Ich will mehr Zeit in dem Sommerhaus verbringen, das wir nicht haben, mehr Bücher lesen, die Welt verändern, schreiben, Zeit haben zum Musikhören, Sportmachen, Zeit haben, es ruhig anzugehen, Zeit haben, mich wohlzufühlen …
Es ist nicht so, dass ich nicht glücklich bin. Mein Leben enthält viele Momente, in denen ich reines Glück empfinde, kleine Glücksräusche über einfache und fantastische Dinge. Sigge über die Wiese im Park laufen zu sehen. Seine Konzentration, wenn er den Eimer mit Sand füllt. Seinen warmen Körper an meinem zu fühlen und ihn in den Nacken zu küssen. Das pure Glück!
Und doch, wenn ich das Ganze anschaue, dann will ich so viel mehr. So vieles möchte ich verändern.
Isadora liest, was sie geschrieben hat, und ihr wird klar, dass sie nicht in die Ehe zurückwill, die sie in ihren Notizen beschreibt. Wenn sie und Bennett weitermachen sollen, müssen neue Bedingungen vereinbart werden. Und wenn nicht, hat sie wenigstens gelernt zu überleben.
Sie schläft fröhlich und übermüdet ein und wacht davon auf, dass Blut zwischen ihren Beinen ist. Sie versucht, beim Aufstehen die Beine zusammenzupressen, aber das Blut läuft unweigerlich in schwarzroten Streifen an den Innenseiten der Oberschenkel entlang, auf den Teppichboden des Hotels. Als Isadora schließlich ein T-Shirt von Bennett zu fassen bekommt und es zu einer provisorischen Binde zusammenknäult, sieht das Zimmer aus wie ein Unfallort. Es ist an der Zeit, Paris zu verlassen und sich nach London zu begeben, wo Bennett ist.
Ich lese dies auf meinem Balkon in La Quinta Park.
Die Sonne ist gerade hinter dem schneebedeckten Gipfel des Vulkans Teide verschwunden, und unten im Pool zieht ein älterer Herr seine Runden. Er sieht einsam aus und schwimmt viel zu schnell, ruckartig und keuchend. Es sieht nicht so aus, als würde er seine Schwimmtour genießen, er leistet etwas.
Ich würde ihn
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