Bittersuess
umgehen.
„Hast du bemerkt, wie oft Maria Fotos von Jonas gemacht hat?“, fragt mich Nicolas, als wir zurück zum Zelt gehen.
„Nein“, ich schaue ihn verdutzt an und luge dann verstohlen zu meinem Bruder und der hübschen jungen Fotografin hin. Die beiden unterhalten sich gerade lebhaft – und das ist wörtlich zu nehmen, denn sie kommunizieren mit Händen und Füßen.
„Ich glaube, Jonas bereut gerade, dass er sich nicht besonders angestrengt hat beim Spanischkurs.“
„Ich glaub ’s auch. Aber ich denke, die beiden werden sich trotzdem gut verstehen. Nur er sollte auf Pedro acht geben, der ist sehr eifersüchtig was seine Tochter angeht.“
„Sollen wir Jonas warnen?“
„Nein, so schlimm wird es wohl nicht werden. Warten wir einfach mal ab“, Nicolas haucht mir einen Kuss auf die Lippen. „Ich habe keine Lust auf die Feier…“
„Du wirst es schon durchstehen“, zärtlich knabbere ich an seiner Unterlippe, dann zwinge ich mich, mich wieder auf die Gäste zu konzentrieren.
Zum Abendessen gibt es ein Barbecue, diesmal aber mit vielen verschiedenen Vor- und Nachspeisen. Ich bin gespannt, wie meine Eltern das finden werden, und betrachte lächelnd, wie sehr sie zulangen.
„Das Fleisch ist wirklich hervorragend“, sagt mein Vater schließlich zu Nicolas, der sich darüber freut und Marta und Lucia dazuholt. Die beiden berichten ihm viel über die Rinderzucht und er hört aufmerksam zu und fragt interessiert nach. Ich muss ein bisschen in mich hineinschmunzeln, denn die beiden versuchen möglichst deutlich zu sprechen, da mein Vater aber fließend spanisch spricht, fällt die Unterhaltung leicht.
Nach dem Essen steht er von seinem Platz auf und klopft an sein Glas. Ich bin überrascht, dass er eine Rede halten will, damit hätte ich unter diesen Umständen nicht gerechnet.
Ich schaue verstört zu Jonas, der genauso verdutzt zu sein scheint, wie ich.
„Keine Sorge“, beginnt mein Vater dann. „Ich habe nicht vor, Sie alle hier lange vom Feiern abzuhalten“, er räuspert sich ein wenig. Er hat keinen Zettel dabei und nur, wenn man ihn gut kennt, bemerkt man, dass er aufgeregt ist.
„Stella, Nicolas“, er schaut uns warmherzig an. „Vieles ist mir in der letzten Zeit klar geworden, vieles habe ich gelernt. Es war nicht immer leicht, das gebe ich zu. Aber Einiges habe ich euch zu verdanken. “, beginnt er dann.
Ich greife unter dem Tisch nach Nicolas Hand, er drückt sie leicht und ich bin froh, dass er sie festhält, denn ich spüre, dass ich zittere.
„Die Erkenntnis zum Beispiel, dass die Wahrheit nicht immer der allein selig machende Weg sein muss und dass man nur lernt, wenn man bereit ist, gut zuzuhören und niemals voreilig urteilen darf“, er sieht jetzt vor allem Nicolas an. „Und dass es schmerzhaft sein kann, seinen Prinzipien treu bleiben zu müssen, auch wenn man vielleicht etwas ganz anderes möchte. Dass man Stärke beweisen muss und es viel Kraft braucht, um die zu schützen, die man liebt, auch wenn es einen zu zerreißen droht. Und dass es nicht immer nur schwarz und weiß gibt, sondern auch viele Grautöne, die zu entdecken, sie bewusst wahrzunehmen, oft schwer und sehr schmerzhaft sein kann.“
Ich halte für einen Moment die Luft an und wieder schaue ich hinüber zu Jonas.
Er nickt nur.
Ich schlucke und mein Herz beginnt zu rasen. ‚Er weiß es’ , hämmert es in meinem Kopf. ‚ Papa weiß es…’
Ich hoffe innerlich, dass er in seiner Rede nicht zu genau wird – denn im Gegensatz zu meiner Familie, die ganz offenbar informiert ist, sind die meisten Gäste hier nichts ahnend was die Entführung angeht.
„Aber das Allerwichtigste, was mir klar geworden ist, ist folgendes“, er lächelt uns beiden jetzt zu und nimmt sein Glas. „Die Liebe findet immer einen Weg“, sagt er dann mit rauer Stimme.
Ich kämpfe mit aller Macht gegen meine Tränen an, doch leider ohne Erfolg .
„Aber damit das Ganze jetzt nicht zu pathetisch wird …“, fährt er fort, „… möchte ich ein paar Worte an Nicolas richten. Du hast eine einzigartige junge Frau an deiner Seite, die in den letzten Monaten eine sehr schwere Zeit durchgemacht hat. Aber die sie auch ganz offensichtlich hat reifen lassen. Doch trotzdem bleibt es immer noch meine Stella, meine schöne, kluge und sehr störrische Tochter, die immer, aber auch wirklich immer, ihren Kopf durchsetzen will“, ich schaue empört und mein Vater zwinkert mir zu. „Und die das auch in neunundneunzig von hundert
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