Bittersuess
Anwesenheit besonders angenehm ist“, sagt er etwas zerknirscht.
„Alleine ist es noch viel unangenehmer“, ich räuspere mich verlegen und schaue auf meine Hände, die ich nervös in meinem Schoß knete.
„Okay, dann bleibe ich noch etwas?“, die Frage kommt so unsicher, dass ich ein bisschen erleichtert bin. Er weiß offenbar auch nichts mit der Situation anzufangen.
„Ja“, sage ich leise.
Nicolas setzt sich wieder aufs Bett und lehnt sich an der Wand an. Ich sitze ihm gegenüber und wir schauen uns eine zeitlang einfach nur in die Augen.
„Woher kommst du? Kannst du mir das wenigstens verraten?“, frage ich, als es mich dieser intensive Blickkontakt zu sehr verwirrt. Meinem Herzschlag tut das auch eindeutig nicht gut, denn er kommt ganz schön ins stolpern, wie ich immer wieder verwundert feststellen muss.
„ Soll ich dir meine Familiengeschichte erzählen?“, fragt er mich dann grinsend.
„Warum nicht?“, antworte ich ernst.
„Also“, er holt tief Luft und schaut jetzt an die Zimmerdecke.
„ Ich stamme aus Argentinien, meine Familie besitzt dort eine Pferdezucht. Meine Großmutter hat sie gemeinsam mit ihrem Mann aufgebaut. Zusammen bekamen sie zwei Kinder. Meinen Vater und noch eine Tochter“, beginnt er dann.
Ich will nicht wissen, ob das wirklich wahr ist. Ich höre mir seine Geschichte an und es tut mir gut, mal ein bisschen abgelenkt zu sein.
„Eine Pferdezucht? Das hört sich faszinierend an“, sage ich ehrlich.
Er schaut wieder zu mir. „ Du magst Pferde, stimmt’s?“, fragt er interessiert.
„Ja sehr. Ich besitze selbst eines“, erkläre ich ihm.
Er lächelt mir zu und ich spüre, wie ich erröte. Ich mag es, wenn er so lächelt.
„ Es gibt nichts Schöneres als reiten, oder?“, fragt er weiter. „Na ja, fast nichts Schöneres“, er räuspert sich und ist jetzt ebenso verlegen wie ich.
„Das kann man so sagen“, nicke ich mit knallrotem Kopf, dann besinne ich mich auf das, was er gerade erzählt hat.
„Und warum bist du hier? Und nicht in Argentinien? Und für einen Südamerikaner hätte ich dich nicht gehalten, du sprichst absolut akzentfrei“, sage ich dann verdutzt.
„ Ich bin zweisprachig aufgewachsen“, erklärt er mir. „Warum bin ich jetzt hier in Deutschland?“, er scheint mit sich zu kämpfen und überlegt wohl lange, wie viel er mir erzählen darf, dann zuckt er die Schultern.
Ich betrachte gespannt, wie er mit sich ringt.
„Mein Vater hat das Gestüt übernommen, nachdem er eine Deutsche geheiratet hat. Aber er hatte eine gefährliche Leidenschaft. Er war spielsüchtig“, er redet jetzt ganz leise, ich muss mich anstrengen, damit ich ihn verstehe. „Er hat alles verloren, das heißt, den Teil des Gestüts, der uns gehörte. Seine Schwester, meine Tante also, konnte ihre Hälfte noch gerade so retten. Meine Mutter hat ihn daraufhin verlassen, sie war es einfach leid. Zusammen mit mir und meinem Bruder ist sie zurück nach Deutschland gegangen. Mein Bruder und ich wollten nicht und haben ihr anfangs das Leben sehr schwer gemacht.“
Er wirkt jetzt nachdenklich und ganz weit weg. Man kann noch spüren, dass ihm das damals sehr schwer gefallen sein muss.
„Wie alt waren du und dein Bruder, als Ihr nach Deutschland gegangen seid?“, frage ich nach.
„Ich war vierzehn, mein Bruder zwölf“, antwortet er. Er spielt gedankenverloren mit einem seiner Hemdknöpfe und ich beschließe, jetzt erstmal abzuwarten, ob er mehr von sich erzählt.
„Kurze Zeit später haben wir die Nachricht erhalten, dass sich mein Vater erschossen hat“, sagt er dann leise.
Ich schaue ihn entsetzt an. „D… das tut mir leid“, flüstere ich heiser, doch er winkt nur ab. „Er ist mit seinem Leben nie klargekommen, das sehe ich jetzt ein. Doch damals waren mein Bruder und ich sehr wütend auf meine Mutter. Wir haben ihr die Schuld gegeben. Wir dachten, wenn wir nicht aus Argentinien weggegangen wären, wäre alles besser gelaufen. Was natürlich Quatsch war. Mein Vater hat sich feige davongeschlichen und die Arbeit und die finanzielle Belastung, die das Gestüt mit sich bringt, meiner Tante und meiner Oma überlassen.“
„Und wie ist es dann weiter gegangen? Hier in Deutschland“, frage ich vorsichtig nach.
„Mein Bruder hat das alles nicht verkraftet. Er ist immer schon schwierig gewesen, hier ist er dann gänzlich abgerutscht. Er hat früh angefangen zu stehlen und sich zu schlagen. Meine Mutter hat ihn daraufhin in einem Boxclub angemeldet, sie
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