Bittersuess
„Bitte glaub mir das.“
Ich bin immer noch geschockt. Welche Ängste muss Jenny ausgestanden haben? Und das alles nur wegen mir. Das schlechte Gewissen kommt mit voller Wucht hoch, ich fühle mich mies. So viele Menschen, die mich lieben, machen sich die größten Sorgen um mich – und ich liege hier mit einem der Entführer im Bett.
Hastig richte ich mich auf und verschränke die Arme vor meiner Brust.
„Was ist?“, fragt er. Aus den Augenwinkeln sehe ich, dass er sich ebenfalls aufsetzt und ich spüre, wie er mit einer Haarsträhne von mir spielt.
„Ich sollte mich schämen, hier mit dir so zu liegen“, flüsterte ich heiser.
„Und? Tust du es?“, hakt er nach.
Am liebsten würde ich mit ‚Ja’ antworten, aber das wäre nicht die Wahrheit. Ich schüttele nur den Kopf.
Er zieht mich erneut mit sich hinunter. Wieder wehre ich mich nicht.
„Stella – ich weiß auch nicht, was das hier ist“, flüstert er an meinem Kopf. „Aber es fühlt sich richtig an im Moment. Von daher möchte ich es nicht hinterfragen. Aber wenn du möchtest, dass ich gehe, dann brauchst du nur ein Wort zu sagen…“
„Ich weiß nicht was ich will. Ich weiß irgendwie gar nichts mehr“, sage ich leise. Und das ist definitiv die Wahrheit .
„Dann geht’s dir so wie mir“, murmelt er sanft. Er hebt mein Kinn an, so dass ich ihm in die Augen sehen muss. „Einfach nicht darüber nachdenken“, er spricht jetzt so leise, dass es kaum noch hörbar ist.
„Ja“, antworte ich nur.
Wir liegen einfach so da, mein Kopf an seiner Schulter, mein Gesicht an seinem Hals. Ich atme den Duft seiner Haut ein, er riecht so gut. Irgendwann wandert meine Hand auf seinen Bauch, ich spüre durch sein Hemd hindurch, dass er einen festen Körper hat, durchtrainiert wirkt.
Er streichelt über meinen Rücken, ich werde schläfrig und meine Augen fallen fast zu. Doch ich will nicht schlafen, ich will diesen komischen Moment auskosten, auch wenn er mich verwirrt und gleichzeitig beruhigt, ein Kribbeln in mir auslöst und eine angenehme Gänsehaut. Auch wenn ich ein schlechtes Gewissen habe und dann auch wieder nicht, auch wenn ich mir schlecht fühle und so gut zugleich. So gut wie schon lange nicht mehr. Hab ich mich je schon mal so gefühlt?
Auch das weiß ich nicht mehr. Ich kenne weder diese Person, die neben mir liegt , noch kenne ich mich…
„Nicolas?“, nach einer ganzen Weile schaue ich wieder zu ihm auf. Ich versuche, wach zu bleiben, will nicht schlafen, auf gar keinen Fall.
„Ja?“, er wirkt auch müde, ich muss ein wenig lächeln.
„Was hast du studiert?“, frage ich neugierig nach.
„ Veterinärmedizin“, antwortet er und wird wieder munterer.
„Du bist Tierarzt?“, ich sehe ihn verblüfft an.
„Ja – so nennt man das wohl, wenn man das Studium fertig hat“, er grinst jetzt ein bisschen, auf seine unwiderstehliche Art.
„Und hast du eine eigene Praxis?“, meine Neugier steigert sich ins Unermessliche.
„Nein, dafür hab ich kein Geld. Ich bin bei einer großen Praxis angestellt und versuche soviel Geld wie möglich zu sparen“, erklärt er mir. Sein Blick hält mich wieder gefangen.
„Deswegen kennst du dich so gut aus“, langsam dämmert es mir und ich deute auf die Klammern in meiner Augenbraue.
„Ich könnte dich besser versorgen, wenn du eine Kuh oder ein Pferd wärst – aber ich denke so ein paar Sachen bekomme ich schon hin“, es blitzt wieder frech in seinen dunklen Augen auf.
„Du behandelst Kühe und Pferde?“.
„Auch. Eigentlich alles. Nur Reptilien nicht, dafür haben wir andere Spezialisten“, seine Hand streichelt wieder über meinen Rücken, ein wohliger Schauer überzieht mich.
„Du fährst also hinaus zu den Bauern?“
„Ja. Und zu Reitställen“, ich sehe ein Funkeln in seinen Augen.
„Reitställe?“, in meinem Kopf beginnt es zu rotieren, dann schlägt mein Herz schneller. „ Kennst du zufällig das Gestüt von Bernd Hofmann?“
„Ja, da war ich schon öfter“, lächelt er mir zu.
„Dort stehen die Pferde von uns“, sagte ich atemlos. „Vielleicht hast du sogar schon einmal eines von unseren behandelt.“
„Das kann schon sein“, er dreht eine Locke meines Haares um seinen Finger und spielt damit.
„Mein Pferd heißt ‚Nadesha’, es ist eine schwarze Araberstute, sie ist wunderschön“, berichte ich ihm aufgeregt.
„Das glaub ich sofort, dass sie wunderschön ist“, Nicolas sieht mir tief in die Augen und ich halte die Luft an. Mein Herz
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