Bittersüße Heimat.
wieder eingesetzt.
Das eröffnete auch den Frauen wieder mehr und vor allem ganz neue Möglichkeiten. Ohnehin ließen sich die weiblichen Mitglieder der Oberschicht nicht mehr in die alte dienende und gehorchende Rolle zurückdrängen. Die Zahl jener, die lesen und schreiben lernten, nahm zu. Frauen veröffentlichten Bücher und gaben Zeitschriften heraus, auch wenn deren Themen überwiegend sehr traditionell waren – »Wie werde ich eine gute Mutter, Ehefrau, Muslimin?« waren die wichtigsten Fragen. Aber mit den neuen Möglichkeiten, sich öffentlich zu äußern, entwickelte sich in dieser sozialen Schicht der Typus der selbstbewussten muslimisch-türkischen Frau. Wie die Schriftstellerin Fatima Aliye beispielsweise, die in ihren Büchern die männliche Polygamie scharf kritisierte und mit ihrem Werk »Nisvani Islam« (»Die Frau im Islam«), das 1896 in Istanbul erschien, als erste Frau wagte, den Islam zu kritisieren und auf die Zusammenhänge zwischen der männlichen Vorherrschaft und der Religion hinzuweisen; 15
› Hinweis oder Rasime Hanim, die 1899 eine Frauenzeitung gründete, sich gegen die Scharia wandte und die osmanische Mädchenerziehung kritisierte. 16
› Hinweis
Eine der selbstbewussten Frauen, die in der Tanzimat-Zeit aufwuchsen, war Latife Ussaki, Tochter aus großbürgerlicher Familie, die 1923, im Jahr der Republikgründung, die Frau von Kemal Atatürk wurde und unter dem Namen Latife Hanim , Frau Latife, bekannt wurde. Nicht zuletzt ihrem Einfluss ist es zu verdanken, dass mit der Republik eine neue Zeit für die Frauen begann.
Kennengelernt hatten sich die beiden in Izmir, in der Stadt, die ein Jahr zuvor noch Smyrna hieß. In Atatürks Leben markierte dieser Ort einen Wendepunkt – persönlich und politisch. Im September 1922 fand hier die Vertreibung der Nichtmuslime aus Anatolien unter seiner Führung ihren grausamen Höhepunkt, als das hauptsächlich von Griechen bewohnte Smyrna in Schutt und Asche gelegt wurde. 17
› Hinweis Fortan hieß Smyrna Izmir – das Türkentum hatte gesiegt.
Es war das Ende des multiethnischen und multikulturellen Anatoliens. Jahrhundertelang hatten hier Armenier, Griechen, Aramäer und viele gelebt, die von anderen Kulturen und Traditionen geprägt waren als die Turkvölker. Das Triumvirat um Enver Pascha, Cemal Pascha und Talaat Pascha, das Anfang 1913 die Macht an sich riss, hatte schon die Jahre des Ersten Weltkriegs genutzt, um Anatolien ethnisch zu säubern. Ihre Vision von einem großtürkischen Reich stieß in den muslimischen Teilen der Bevölkerung auf großen Zuspruch und richtete sich auch gegen die osmanische Oberschicht in Konstantinopel, die bereit war, sich mit den Alliierten auf Kosten der Souveränität und Einheit des Landes zu arrangieren. Der durch seine militärischen Erfolge im Ersten Weltkrieg bekannt gewordene Atatürk forcierte die Durchsetzung des »Türkentums«. Und er setzte dabei auch auf die Frauen.
Atatürks Mission
Latife und Atatürk begegneten sich, als sie während der militärischen Kämpfe in sein Hauptquartier in Smyrna kam, um ihm das Haus ihrer Eltern in Göztepe als sicheres Quartier anzubieten. Er war von der damals 24-jährigen gebildeten Frau, die in London und Paris Jura studiert hatte, stark beeindruckt.
Am 29. Januar 1923 kehrte der 42-Jährige nach Izmir zurück und hielt um ihre Hand an. Dass sie selbst gefragt wurde und bei der Trauung selbst zugegen war, verstieß gegen die Tradition. Ungewöhnlich war auch der große politische Einfluss, den sie auf ihren Mann ausübte. »Nichts in unserer Religion«, so verkündete Atatürk nach Gründung der Republik, »verlangt, dass Frauen den Männern unterlegen sein müssten.«
Die Ehe der beiden hielt nur zweieinhalb Jahre, hatte aber für die Frauen in der Türkei eine weitreichende Bedeutung. Latife, die mit Gründung der Republik »First Lady« wurde, war die erste Muslimin, die in der Öffentlichkeit zwar zunächst noch ein Kopftuch, aber keinen Schleier vor ihrem Gesicht trug. Bei einer der großen Reden Atatürks in der Nationalversammlung ließ sie sich in den Zuschauerrang schleusen und nahm dann mitten in der Versammlung den Gesichtsschleier ab. Was die internationale Presse mit Anerkennung notierte, sorgte unter den türkischen Männern für Aufruhr, schließlich war der Schleier ihrer Meinung nach den Frauen vom Propheten höchstpersönlich angelegt worden, um sie vor sexuellen Belästigungen zu schützen, sie von allzeit verfügbaren Sklavinnen
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