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Bittersüße Heimat.

Bittersüße Heimat.

Titel: Bittersüße Heimat. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Necla Kelek
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arbeiten. Wir haben Glück, denn fast stündlich fährt ein Bus nach Malatya. Die Busse sind komfortabel und preiswert. Man bekommt einen festen Platz, etwas zu trinken, und alle drei Stunden wird an einer Raststation gehalten. Wir haben eine Reise von über zehn Stunden vor uns. Ich mache mich daran, die Unterlagen zu Fatma zu studieren, die Peter mitgebracht hat. Die Sozialarbeiterin Frau B. hat ein genaues Protokoll über die bisherigen Ereignisse erstellt.

Fatmas Geschichte
    Fatma wurde vor 23 Jahren in einer westdeutschen Großstadt geboren. Ihre Mutter Huriye war die Zweitfrau von Fatmas kurdischem Vater, der hier Khan heißen soll. Khan hatte in Deutschland politisches Asyl bekommen und war eingebürgert worden. Er hatte Fatmas Mutter – vermutlich nur per Imam-Ehe und ohne staatliche Eintragung – geheiratet, weil seine erste Frau Hatun keine Kinder bekommen konnte.
    Die Selbstverständlichkeit, mit der er sich zwei Frauen nahm, ist den archaischen Regeln der Turkvölker wie auch den islamischen Männerrechten zufolge nicht ungewöhnlich – dass dies aber auch Ende des 20. Jahrhunderts in Deutschland möglich war, mutet gespenstisch an, war und ist aber sicherlich kein Einzelfall. Kurdischstämmige Familien leben oft in großen Clans, manchmal mit fünfzig oder mehr als hundert Familienangehörigen, zusammen. In einer norddeutschen Kleinstadt, in der eine Freundin von mir arbeitet, leben etwa 300 Migranten, die alle zu nur zwei Familien gehören. Vor dreißig Jahren war ein Kurde mit seinem Freund aus Ostanatolien in diese Stadt gekommen und hat nach und nach alle seine Verwandten nachgeholt. Wer mit wem verheiratet ist, wer wessen Kind, Enkel oder Cousin ist, erschließt sichAußenstehenden nicht. Und so ist es auch in Fatmas Familie. Alle tragen denselben Nachnamen.
    Fatmas Mutter bekam drei Kinder in Deutschland und lebte mit der ersten Frau ihres Mannes unter einem Dach, in einer Wohnung. Aber die beiden Frauen vertrugen sich nicht. Als Fatma sechs Monate alt war, wurde ihre Mutter in die Türkei zurückgeschickt. Ihre Kinder aber blieben bei der »Erstfrau« Hatun in Deutschland, die »nach der Sitte« das Recht auf die Kinder hatte. In Fatmas Geburtsurkunde ist Hatun als ihre Mutter eingetragen, so wie bei allen anderen Kindern auch, obwohl diese nie ein Kind geboren hat.
    Als die kleine Fatma krank wurde, schickte man sie in die Türkei zu ihrer leiblichen Mutter. Khan besuchte seine Zweitfrau oft dort, schlug und schwängerte sie regelmäßig. Huriye bekam noch drei weitere Kinder von ihm, weigerte sich aber, diese nach Deutschland zu geben. Als Fatma schulpflichtig wurde, holte man sie wieder nach Deutschland. Der Vater arbeitete nicht, bezog Arbeitslosengeld, Sozialhilfe und Kindergeld, und mit den Erträgen aus seinen »Geschäften« kaufte er Häuser in der anatolischen Heimat.
    Irgendwann erzählte Fatma ihren älteren, in Deutschland aufgewachsenen Geschwistern von der leiblichen Mutter. Hatun und Khan erfuhren davon, und von diesem Zeitpunkt an machten sie Fatma das Leben zur Hölle. Fatma hatte Hatuns »Ansehen« geschädigt, sie als nicht vollwertige Frau bloßgestellt. Fatma wurde geschlagen, musste, wenn sie von der Schule kam, die Hausarbeit erledigen und durfte nicht mehr mit anderen Kindern spielen. Nach dem Hauptschulabschluss arbeitete sie bei einem Bäcker, den Lohn kassierte der Vater. Als sie 19 wurde, teilte Khan seiner Tochter mit, dass er sie mit dem Sohn seines Bruders in der Türkei verheiraten werde. Mit Grauen erinnert Fatma sich an ihre Hochzeitsnacht, in der die Verwandten vor der Schlafzimmertür auf das blutige Laken lauerten – und es bekamen.
    Im Rahmen der »Familienzusammenführung« wurde Fatmas Ehemann nach Deutschland geholt. Die beiden zogen in eine Wohnung im Haus ihrer Eltern. Ihr Mann sprach kein Deutsch, hatte nichts gelernt und erhielt Sozialhilfe. Für Fatma blieb er ein Fremder. Als er ein Kind wollte, schob sie Krankheiten vor, umnicht mit ihm schlafen zu müssen. Ihren Vater, der seinen Schwiegersohn als Schlappschwanz beschimpfte, machte das wütend. Er verbot ihr Jeans und T-Shirts, warf ihre Kosmetika in den Müll und verlangte von seiner Tochter, fortan das Kopftuch zu tragen. Fatma weigerte sich. Ihr Mann schlug sich auf die Seite ihres Vaters, der schließlich sein Onkel war und dem er dankbar dafür war, dass er ihn nach Deutschland geholt hatte. Mehr und mehr machte er sich das Verhalten seines Schwiegervaters zu eigen, wachte eifersüchtig

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