Bittersüße Heimat.
spärlichen Nachrichten, die Frau B. aus K. noch erreichten, gaben Anlass zu wachsender Besorgnis. Angeblich bat Fatma um Geld, das Frau B. ihr auf ein türkisches Konto überweisen sollte – was diese aber nicht tat. Ein Freund von Khan meldete sich bei Fatmas Freundin und drohte – wenn sie Fatma und Khans Familie nicht endlich in Ruhe lassen würde, müsse sie um ihre Kinder fürchten. Frau B. wurde immer unruhiger. Sie holte Rat ein bei einem Bundestagsabgeordneten, der sie an das Auswärtige Amt verwies. Dort sagte man ihr, dass man erst etwas unternehmen könne, wenn die Polizei eingeschaltet sei und eine Vermisstenanzeige vorläge. Das Auswärtige Amt verständigte die Botschaft in Ankara.
Ende November, Fatma war inzwischen sechs Wochen überfällig, ging Frau B. zur Polizei und gab die Vermisstenanzeige auf. Langsam liefen die Ermittlungen an, das Landeskriminalamt wurde informiert, der Fall an das Bundeskriminalamt und an die Botschaft weitergeleitet, Interpol eingeschaltet. Aber man konnte sich nicht sicher sein, ob die junge Frau – anders als in der Vollmacht angegeben – inzwischen nicht doch den Entschluss gefasst hatte, in der Türkei bleiben zu wollen. Und niemand aus der deutschen Botschaft in Ankara wollte sich auf bloßen Verdacht hin auf die zehnstündige Reise nach Kurdistan machen. So wurde die Sache schließlich der türkischen Polizei übergeben, die Fatma im Haus ihrer Familie aufsuchte und befragte. Ende des Jahres 2007 kam dann über Interpol eine Übersetzung der Aussage, die Frau B. und ihre Freundinnen schockierte. Fatma erklärte darin, dass sie freiwillig in der Türkei sei, weil ihr Vater schwer erkrankt sei. Sie habe vor Jahren auch freiwillig geheiratet und sei nur ins Frauenhaus gegangen, weil ihr Mann sie geschlagen habe. Jetzt sei sie bei ihrer Familie und wolle nicht nach Deutschland zurück.
Alle Beteiligten waren ratlos. Die Botschaft konnte nicht tätig werden, denn warum sollte sie die Aussage anzweifeln? Dafürhätte ein begründeter Verdacht vorliegen müssen. Fatmas Behauptung, dass der Vater und nicht die Mutter krank sei, war zwar für die Eingeweihten ein verschlüsselter Hinweis, dass nichts an dieser Aussage stimmte, für die Polizei aber noch lange kein Beweis, dass die Aussage unter Druck gemacht wurde. Wenn nichts passierte, das war allen Beteiligten inzwischen klar, würde Fatma gegen ihren Willen in der Türkei bleiben müssen.
Das ist der Stand der Dinge Anfang Januar 2008, den ich den Unterlagen während unserer Fahrt von Ankara nach K. entnehmen konnte. Zwischen den Schriftstücken findet sich auch ein Foto von Fatma, aufgenommen bei einem Picknick: ein modernes junges Mädchen, das etwas schüchtern lächelt und sich inmitten ihrer Freundinnen wohlzufühlen scheint.
Hohe Berge, tiefe Schluchten
Ein wenig mulmig ist Peter und mir schon zumute, als wir nun im Bus durch das winterliche Anatolien brausen. Wie soll man in einem solchen Fall vorgehen, was gefährdet weder Fatma noch uns? Wir beschließen, auf keinen Fall einen Alleingang zu machen, sondern uns bei allen möglichen Stellen Hilfe und Unterstützung zu holen. Als Erstes telefoniere ich noch auf der Fahrt mit der Frauenorganisation Ka-mer, die sich seit ihrer Gründung 1997 für gefährdete Frauen in der Türkei einsetzt und mit deren Einrichtungen ich schon verschiedentlich Kontakt aufgenommen hatte. Die Frauen bitten mich, zunächst zu ihnen nach Malatya zu kommen und von dort aus alles Weitere zu veranlassen. Dann rufen wir die deutsche Botschaft an und teilen dem BKA – Kontaktmann mit, dass wir auf dem Weg zu Fatma sind. So machen wir es auch bei den nächsten Stationen, wir informieren die Botschaft stets, wo wir sind, wen wir aufsuchen und was dort passiert.
Je weiter wir nach Osten fahren, desto höher schnurrt der Bus hinauf. Wir sind auf der alten Karawanenstraße unterwegs, die inzwischen mal vier-, mal sechsspurig ausgebaut ist, in der Nähe größerer Städte aber wieder zur Durchgangsstraße wird. Alles liegt in diesen Tagen unter einem dünnen Laken aus Schnee, darüber ein stahlblauer Himmel. Wie Skizzen auf weißem Grund säumen Olivenbäume und Zypressen das schwarze Band der Straße – dieAsphaltpiste ist in dieser unbewohnten Landschaft das einzige Zeichen von Zivilisation. Wo der Wind den Schnee verweht hat, kommt die rote Erde zum Vorschein. In regelmäßigen Abständen tauchen Tankstellen am Straßenrand auf, ein Trost für den Reisenden, dass ihm wenigstens das
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