Bittersüße Heimat.
Anstalten, uns zum Sitzen aufzufordern. Als ich ihm unser Anliegen schildere und ihn bitte, uns zu helfen, mit Fatma sprechen zu können, wird er sehr förmlich. Offenbar haben die Ka-mer-Frauen aus Malatya nicht mit ihm, sondern mit jemand anderem gesprochen. Er lehnt sich in seinem Schreibtischstuhl zurück, fragt, woher wir uns das Recht nähmen, Nachforschungen über türkische Bürger anzustellen. Wir sagen, dass Fatma deutsche Staatsbürgerin sei, und zeigen ihm die Kopie der Vollmacht. Da sie auf Deutsch verfasst ist, wirft er nur einen flüchtigen Blick darauf und gibt sie kommentarlos zurück. Dann beugt er sich vor, um uns mitzuteilen, dass es das in der Türkei und besonders in seiner Stadt nicht gäbe: Hier würde niemand gegen seinen Willen festgehalten. »Hören Sie auf, so etwas zu behaupten!« Als wir einwenden, Fatma würde als Vermisste über Interpol gesucht, sagt er nur abschätzig: »Dann gehen Sie doch zur Polizei.«
Als wir wieder vor der Tür stehen, muss ich erst einmal tief Luft holen. Ich habe wohl einen Fehler gemacht, sage ich zu Peter. Ich hätte erst einmal ein Gläschen Tee mit ihm trinken, ihm ein wenig Honig um den Schnauzer schmieren müssen, um ihm das Gefühl zu geben, er könne mir, der Schwester, helfen. Aber vielleicht hätte das auch nichts genützt, vielleicht ist er einfach nur einer dieser verbohrten Nationalisten, die sowieso in jedem Fremden einen Feind oder Spion sehen.
Dann eben anders.
»Meine Söhne werden dich finden«
Wir gehen zur Post, ich wähle die Nummer von Fatmas Mutter Huriye. Tatsächlich geht sie ans Telefon. Ich stelle mich als Fatmas Freundin vor, sei zufällig in K. und würde sie gern sprechen. Fatma sei nicht zu sprechen, bellt die Frau ins Telefon und legt auf. Ich wähle erneut und verlange diesmal sehr bestimmt, Fatma zu sprechen, das dürfe sie mir nicht verweigern. Die Mutter schreit ins Telefon: »Wer bist du denn? Was ich darf und was ich mit Fatma mache, geht dich gar nichts an. Bei uns gelten unsere Gesetze.« Ich wiederhole mein Anliegen, ich kläre sie auf, dass sie sich strafbar mache, wenn sie Fatma einsperre – da dreht die Frau am Telefon völlig durch. »Ich werde dich und deine Familie finden und euch alle umbringen lassen. Dein Dorf wird brennen.« Und dann fügt sie noch hinzu: »Wenn du in der Stadt bist, werden dich meine Söhne finden.«
Nun ist K. zwar eine Stadt mit ein paar zehntausend Einwohnern, aber wir sind sicher die einzigen Fremden hier, und das Zentrum ist übersichtlich. Wir setzen uns in die hinterste Ecke einer Teestube auf dem Markt und überlegen, was zu tun ist. Die Option, zu dem Haus der Familie zu fahren, verwerfen wir – Alleingänge haben wir uns verboten. Wir wissen nicht einmal, ob Fatma überhaupt noch in der Stadt ist. Und falls Mutter, Vater und Söhne so gewalttätig sind, wie vermutet werden muss, kann das nur schiefgehen.
Wir versuchen aus einer Telefonzelle am Marktplatz die deutsche Botschaft in Ankara zu erreichen, landen aber in einer endlosen Ansageschleife: »Falls Sie Fragen zu Visa und Passangelegenheiten haben, drücken Sie bitte die 1 …« Und der zuständige Sachbearbeiter geht nicht ans Telefon. Der Marktplatz ist voller Männer, die herumstehen, warten, sich unterhalten. Wir werden neugierig gemustert. Irgendwie habe ich das Gefühl, aufpassen zu müssen, vielleicht ist ja einer der Brüder bereits unterwegs und sucht uns. Plötzlich beginnt auf der gegenüberliegenden Straßenseite ein Geschubse, Gedränge und Geschrei. Zwei Männer schlagen aufeinander ein. Es kommt zu einem Handgemenge, andere drängen hinzu, und wir sind auf einmal mittendrin. Nach einer Minute ist die Polizei mit fünf Männern zur Stelle und greift sichdie Streithähne. Ein Mannschaftsbus lädt die Festgenommenen ein, und so schnell, wie die Aufregung angefangen hat, legt sie sich auch wieder.
Der Polizist und sein »Effendi«
Peter schlägt vor, zur Polizei zu gehen. Mein Vertrauen in die türkische Polizei ist nicht besonders groß – womöglich wird auch dort in »ihr« und »wir« unterschieden. Aber ich sehe ein, dass uns nichts anderes übrig bleibt. Die Kommandantur ist ein großer, kasernenartiger Bau mit fünf Stockwerken und einem Stacheldrahtzaun um das Gelände. Der Eingang wird von Polizistinnen bewacht, die uns ohne große Formalitäten den Weg zur Wache weisen. Der Beamte in der Meldestelle hört sich unser Anliegen aufmerksam an. Er realisiert schnell, dass es sich hier um einen »Fall«
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