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Bittersüße Heimat.

Bittersüße Heimat.

Titel: Bittersüße Heimat. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Necla Kelek
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die Fernbedienung und schaltet um, auf dem Rasen spielt Galatasaray gegen Kayseri Fußball.
    Der Kellner ist ein freundlicher junger Mann in einer steifen weißen Jacke, der bei unserer Bestellung immer nur den Kopf schüttelt. Kein Bier, kein Wein, kein Raki – Alkohol wird in der Öffentlichkeit der östlichen Türkei nicht mehr ausgeschenkt, weder in Hotels noch in Restaurants noch in Bars. »Iki su, lütfen«, »Zwei Wasser, bitte«, sind deshalb die türkischen Worte, die Peter nach kurzer Zeit am geläufigsten von der Zunge gehen. Der Kellner revanchiert sich auf Deutsch: »Alles klar, Chef.« Er war noch nie in Deutschland, aber ein Cousin, erzählt er uns, habe ihm diese Antwort beigebracht.
    Im Nirgendwo
    Am nächsten Morgen berichten die Ka-mer-Frauen, dass wir bei der Sozialbehörde in K. erwartet werden, und geben uns die Adresse und gute Wünsche mit auf den Weg. Die Stadt, in die wir wollen, liegt etwa 150 km von Malatya entfernt und ist zu unserem Leidwesen nur einmal am Tag mit einem Bus zu erreichen. Der ist aber bereits um sieben Uhr morgens abgefahren. Wir lösen die Sache pragmatisch und nehmen den Dolmus, den Kleinbus, bis zur letzten Tankstelle am Stadtrand. Wir wollen trampen. Die Männer an der Raststätte können es nicht fassen, dass jemand freiwillig im Winter in diesen verdammten Ort fahren will, der doch höchstens für seine Hahnenkämpfe berühmt ist. Und tatsächlich: Kein Auto, kein Lkw, kein Bus hält. Es kommt einfach niemand vorbei. Nach einer ganzen Weile, als unsere Füße schon halb erfroren sind, trabt der Wirt des kleinen Kiosks auf uns zu und bietet an, uns hinzufahren.
    Der Mann, vielleicht Anfang vierzig, trägt den üblichen Fünftagebart, der vielfach den Schnauzer abgelöst hat, und stellt sich als Mehmet vor. Er nennt einen astronomischen Preis, wir winken ab. Da fängt er an zu argumentieren – er habe doch Familie,drei Töchter, die noch in die Schule gingen, sein Auto sei neu, und wenn wir hier noch lange stehen müssten, würden wir bald frieren. Nach einigem Hin und Her einigen wir uns auf den Preis für eine Tankfüllung. Wie sich herausstellt, haben wir nicht zu viel bezahlt für diese 150 Kilometer lange Reise über die Pässe und Gipfel Südostanatoliens, bei der wir durch eine Landschaft von bizarrer Schönheit fahren, die seit Jahrtausenden den Menschen hart zugesetzt hat – alles mussten sie ihr abtrotzen, sie war Durchgangsgebiet für Karawanen und Kriegszüge, und immer wieder haben ihre Bewohner ihr Dorf hinter sich gelassen, in der Hoffnung, es vielleicht in der nächsten Stadt besser zu haben.
    Gelegentlich kommen wir an neu errichteten schmucken Häuschen mit bunten Fenstern vorbei. »Das sind die Häuser der al manci «, der Deutschländer, sagt unser Fahrer. »Die haben sich mit dem Geld aus Deutschland hier Ferienhäuser gebaut.« Er schüttelt den Kopf über so viel Verschwendung. »Da unten«, erklärt Mehmet, mit dem Finger auf ein Dorf zeigend, »wurde der einzig berühmte Mann dieser Gegend geboren.« Er wartet einen Moment und sagt: »Es ist Ali Agca, der Papst-Attentäter.« Dann lacht er, als hätte er gerade einen besonders gelungenen Witz gemacht.
    Türkische Städte haben keine markanten Ränder. Erst tauchen einige Häuschen auf, Reste von Bauernhöfen, dann kommen die Neubauten, und schließlich zeigt sich eine dichtere Bebauung an der langen schnurgeraden Straße. K. hat, wie alle anatolischen Städte, eine frühgeschichtliche Vergangenheit in der Hethiterzeit und verdankt seine heutige Existenz der ertragreichen Viehzucht in den weiten Tälern und den Kohlevorkommen der Region. Als wir im Zentrum ankommen, ist Markttag, und trotz Schnee gibt es Orangen, Auberginen, Zucchini, Tomaten zu kaufen. In der für türkische Verhältnisse nahen Küstenregion bei Adana ist es nie so kalt wie in den Bergen, und dort wächst das Obst und Gemüse zu jeder Jahreszeit. Wir gehen ins Bürgermeisteramt, einen repräsentativen Bau aus den Anfängen der Atatürk-Zeit, und fragen uns zu dem von den Ka-mer-Frauen empfohlenen Beamten durch.
    Üble Nachrede
    Der sitzt in einem großen holzgetäfelten Büro, an der Wand das übliche Atatürk-Porträt, vor dem Schreibtisch, auf dem die Utensilien eines Staatsrepräsentanten mit Namensschild in Messinglettern sichtbar sind, ein weiterer Tisch mit sechs Stühlen. Wir befinden uns im Büro des stellvertretenden Bürgermeisters. Der Mann ist sich seiner Stellung bewusst und macht nach der Begrüßung keine

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