Bittersüße Heimat.
süryanäischen Familie, mit der wir verabredet sind.
Vergessene Traditionen
In ihrem Schmuckladen treffen wir Madame Isabel. Vor zehn Jahren zog sie mit ihrer Familie aus Istanbul zurück in ihre Heimatstadt. Ihr Mann Farik beherrscht noch die feine Technik des typisch süryanäischen Silberhandwerks, bei dem aus ganz feinen langen Silberfäden ornamentale Muster geformt und zu Anhängern, Ohrringen und Broschen aus feinem Gespinst verarbeitet werden. Für den türkischen Staatspräsidenten Gül und seine Frau habe er einen ganz besonderen Schmuckkasten gemacht, berichtet er stolz und zeigt uns ein Foto von dem Prachtstück. Seine Arbeiten, sagt Farik, seien inzwischen so bekannt, dass er mit anderen Handwerkern aus der Türkei in den Präsidentenpalast nach Ankara eingeladen wurde und auch Prinz Charles ihn schon besucht habe. Aber die größte Genugtuung bereitet ihm, dass er seit kurzem einen Lehrling hat. Ein junger Muslim will das Handwerk bei ihm erlernen.
Seine Frau Isabel arbeitet mit den Ka-mer-Frauen zusammen und hatte die Idee, mit den Frauen Wein zu produzieren. Mardin hat eine mehrtausendjährige Tradition im Weinanbau, die aber in Vergessenheit geraten ist, es gibt wenige erfahrene Winzer. Die Frauen haben – misstrauisch von den Muslimen beäugt – einen alten Weinberg gekauft und wollen ihn in den nächsten Jahren kultivieren. Zurzeit kaufen sie noch Weintrauben von den Bauern und keltern ihn in kleinen Mengen. Aber die ersten Jahrgänge sind gelungen. Stolz bieten sie ihre kleine Produktion mit dem Ka-mer-Etikett feil. Ob das wirklich eine tragfähige Geschäftsidee ist? Inzwischen wird in der ganzen Türkei der Ausschank von Alkohol an Muslime verboten, selbst in unserem schicken Hotel bekommt man nicht einmal ein Bier.
Jakob, Isabels 22-jähriger Sohn, der sich an diesem Ort als junger Mann verloren fühlt, weil die Mädchen so früh verheiratet werden, erzählt von einem Restaurant in der Stadt, in dem man noch Wein zum Essen bestellen könne, allerdings nur Gäste, die dem Wirt auch bekannt seien. Wir bitten ihn, für uns dort einen Tisch zu reservieren, er solle sagen, dass wir Deutsche sind. Das gehe klar, meldet er uns zwei Minuten später nach einem Anruf in dem Lokal, »aber nur, weil ich den Besitzer kenne«.
Die knappe Stunde bis zum Abendessen schlendern wir durch die Stadt. Auf dem Marktplatz von Mardin thront ein Atatürk-Denkmal. Die lange schmale Einkaufsstraße säumen viele Schmuckgeschäfte, aber auch Seifen und ein reichhaltiges Sortiment an Trockenfrüchten werden angeboten. Man ist hier auf Touristen eingestellt.
Besuch aus Istanbul
Der Muezzin ruft zum Abendgebet, und wir eilen zu dem Restaurant, in dem Jakob uns einen Tisch reserviert hat. Nein, sagt der Kellner ganz irritiert, als wir Wein bestellen, Alkohol gebe es bei ihnen nicht. Also ordern wir wieder Iki su lütfen , zwei Wasser, bitte.
Zurück im Hotel begeben wir uns stracks in die orientalisch eingerichtete Lobby. Peter will auf keinen Fall das Fußballspiel verpassen, das heute übertragen wird: Griechenland gegen die Türkei. Das ist mehr als ein Spiel, meint er, für einige Türken sei das die Wiederauflage des Kampfes im Unabhängigkeitskrieg. An den Sandsteinwänden des von großen Laternen beleuchteten Raums, der ganz mit roten Kelims ausgelegt ist, liegen komfortable Bodenkissen, vor denen kleine Tabletts mit Tee, Mokka und Pistazien stehen. An der Stirnseite gibt es einen riesigen Flachbildschirm, vor dem sich etwa zwei Dutzend Männer versammelt haben. Das Spiel schleppt sich so dahin. Im unteren Bildrand wird eine Sondersendung zum »Kampf gegen den Terror« angekündigt und zu Spenden für die »türkischen Märtyrer« aufgerufen, die nicht weit von hier hinter der Grenze zum Irak von der kurdischen PKK »ermordet« wurden. Acht weitere Soldaten sind im Kampfgetümmel in kurdische Gefangenschaft geraten. Aber niemand achtet während des Spiels besonders auf diese Meldung.
Peter feixt über die unbeholfenen Versuche der türkischen Stürmer, den Ball in »Ottos Kasten« unterzubringen. Trainer Otto Rehhagel hat seine Griechen clever eingestellt. Die Gäste und Kellner verlieren im Laufe des Spiels irgendwie den Spaß am Zuschauen, und als Griechenland dann zehn Minuten vor Schluss auch noch ein Tor schießt, leert sich der Raum.
Ich komme gerade von einem Telefonat mit Ülkü zurück – aus unserem gemeinsam geplanten Besuch im Gefängnis werde nichts, weil sich »hoher Besuch aus Istanbul«
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