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Bittersüße Heimat.

Bittersüße Heimat.

Titel: Bittersüße Heimat. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Necla Kelek
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er seine Kirche in den letzten Jahren auch mithilfe der EU restaurieren konnte und inzwischen ohne Angst um seine Gemeinde sonntags seinen Gottesdienst halten kann. Jakob ist verärgert über die Ablehnung, er ist ungeduldig, fühlt sich oft »ausgebremst« von den Älteren, aber der ruhigen Autorität des Paters muss er sich in dieser Frage beugen.
    Pater Gabriel ist Vater von zwölf Kindern, seine Töchter sind alle im nahen Syrien verheiratet, seine Söhne betreiben in Mardin Schmuckgeschäfte. Auf die Frage, ob es auch in seiner Gemeinde Zwangsverheiratungen gibt, lacht er und sagt ausweichend: »Wir legen großen Wert auf die Bildung unserer Kinder, gleich ob Junge oder Mädchen. Meine Töchter haben die Oberschule beendet und dann erst Glaubensbrüder in Syrien geheiratet.«
    Die süryanäische Gemeinde in Mardin ist um weniges größer als die in der Millionenstadt Diyarbakir, wo sich nur noch sechs Familien zur Gemeinde bekennen. Und von dieser Handvoll Menschen hängt es ab, ob ein großes christliches Kulturerbe bewahrt wird.
    Die alte Frau, die uns das Tor zur »Kirche zur Jungfrau Maria« geöffnet hat, lebt seit fünfzig Jahren auf dem Gelände und verlässt es kaum noch. Ihr etwa vierzigjähriger Sohn Jakov, der Hüter der Kirche, ist sehr zurückhaltend mit Auskünften, als wir nach seinem Alltag fragen;er möchte nichts Schlechtes über seine muslimischen Nachbarn sagen. Aber wir erfahren doch, dass die anderen in der mahall e lebenden Bewohner ihnen eher feindlich begegnen. Die Mitglieder von Jakovs Familie trauen sich kaum, das Gelände zu verlassen. Dass ausländische Spender den »Ungläubigen« helfen, erregt den Unmut der kurdischen Nachbarn. Diese Familie in der »Kirche zur Jungfrau Maria« in Diyarbakir lebt – mitten in einer Großstadt – in erzwungener Isolation, weil die umgebende Bevölkerung ihre Religion nicht akzeptiert.
    Die syrischen Christen, ob im Irak, im Iran oder in der Türkei, sind nicht nur in ihrer Religionsfreiheit bedroht. Gab es 1915 noch etwa eine halbe Million Menschen dieses Glaubens, sind es heute nur noch wenige Tausend. Und auch die »stören« in der Auseinandersetzung zwischen Kurden und Türken, sie wurden 1915 von den Jungtürken vertrieben, wie sie heute von den Kurden aus dem Nordirak vertrieben werden. Für die Süryanäer ist überall Diaspora.
    Beklommen verlassen wir die Kirche. Jakov führt uns noch durch einige Gassen in das ehemalige Viertel der Armenier. Er zeigt uns ein versteckt liegendes altes armenisches Bürgerhaus, das eine ungewöhnliche Architektur besitzt. Jedes der drei Stockwerke ist von Arkaden aus verzierten Sandsteinrundbögen umgeben, feinen Steinmetzarbeiten, wie wir sie später weiter an der syrischen Grenze häufiger sehen werden. Das Haus ist eine Ruine und soll abgerissen werden. Jakov hofft, die Stadtverwaltung überzeugen zu können, dass das Baudenkmal unbedingt erhalten werden muss. Wir verabschieden uns von ihm, er kehrt in sein Klosterleben zurück, und wir machen uns zur Basarstraße auf.
    Der Aga
    Schon die ganze Zeit werden wir von drei Jugendlichen »begleitet«. Einer der jungen Männer hat eine große Rohrzange in der Hand, die er hinter uns an den Hauswänden entlangklappern lässt. Wenn wir stehen bleiben, bleiben auch die jungen Männer stehen. Ein kleiner Junge greift mich am Arm und verlangt aggressiv »money«. Wir schreiten schneller aus und schaffen es, wieder in die »Öffentlichkeit« des Basars zu kommen.
    Ich spreche, weil wir uns immer noch verfolgt fühlen, den nächstbesten Mann an. Es ist ein alter Herr mit weißem, kurdi schem Kopftuch, feinem kragenlosen Hemd und einem breiten um die Hüften gebundenen Schal, weiten schwarzen Pluderhosen und hellbraunen, blank geputzten Halbschuhen. Ich frage ihn nach dem Weg. Er ist überrascht, dass ihn eine fremde Frau anspricht, und lacht verunsichert. Seine goldenen Zähne blitzen inmitten eines schneeweißen Barts. Er sagt etwas auf Kurdisch, was ich nicht verstehe, und geht dann weiter. Das ist mir aber auch gleich. Meine Nähe zu dem Aga , dem Herrn, hat unsere »Begleiter« in die nächste Gasse abbiegen lassen.
    Am nächsten Tag brechen wir nach Urfa auf, dem Geburtsort des PKK – Führers Abdullah Öcalan. Die in diesen Wochen stattfindende »Operation«, wie die türkische Armee die Militäraktion gegen die PK K an der Grenze zum Irak nennt, macht unsere Reise entlang der türkisch-syrischen Grenze mit den vielen Militärkontrollen zwar etwas

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