Bittersueße Sehnsucht
und drehte mich kein einziges Mal um. Ich wusste nicht, ob er mir nachlief und bog deshalb in die nächste Seitenstraße ein.
Schaufenster zogen an mir vorbei, bis ich plötzlich stehen blieb und in die große Scheibe meines Lieblingsschuhgeschäfts blickte. Vielmehr beobachtete ich mein Spiegelbild darin. Ich erkannte mich selbst fast nicht wieder, denn meine Augen sahen mich auf eine Art an, die mir völlig fremd erschien. Ich war mir nicht ganz sicher, was ich da tat, als ich vor die automatische Schiebetür des Schuhladens trat. Doch ich brauchte eine Beschäftigung. Etwas, dass meine Gedanken ganz sicher von Ryan Johnson ablenkte.
Während ich unschlüssig zwischen den Schuhregalen umherstriff, fiel mein Blick auf ein paar Ankle Boots, deren Stilettoabsätze mit dem gleichen, schwarz-samtigen Material bezogen waren, wie der restliche Schuh. Am oberen Rand wurde der hintere Teil des Schuhs von einer zartrosa Paspel umschlossen, die seitlich mit einer kleinen Metallschnalle versehen war. Schon als ich ihn anprobierte, wusste ich, wozu ich ihn bei nächster Gelegenheit tragen würde. Mit einem zufriedenen Lächeln auf den Lippen lief ich im Geschäft auf und ab und betrachtete die Stiefeletten in einem der großen Wandspiegel.
Als ich den Laden verließ, schaute ich mich kurz verstohlen um. Zum Glück war Ryan nirgends zu sehen. Deshalb lief ich den Weg zurück zum Coffee-Shop, neben dem sich meine U-Bahnhaltestelle befand. Als ich mich auf einen der Klappsitze in der Bahn niederließ, begannen meine Gedanken wieder um diesen Nachmittag zu kreisen. Auch wenn ich versuchte, dagegen anzukämpfen, ich musste mir eingestehen, dass ich vielleicht etwas überreagiert hatte. Doch das war jetzt sowieso egal, denn ich hatte ihn einfach stehen gelassen und da wir keine Nummern ausgetauscht hatten, wusste ich, dass ich Ryan wohl nicht wieder sehen würde. Ich schluckte das keimende Gefühl von Enttäuschung herunter, und wunderte mich über mich selbst. Was hatte er an sich, das mich so verrückt machte!
Als er mir vor der Toilette diese absurden Worte zuflüsterte, hatte ich tatsächlich einen kurzen, unsinnigen Moment darüber nachgedacht. Was wäre gewesen wenn? Wenn ich es zugelassen hätte, dass er mich geküsst hätte? Was wäre weiter passiert?
Das Piepsen meines Handys riss mich aprubt aus meinem Grübeln.
Tut mir leid, wenn ich dich überrumpelt habe! Das war nicht meine Absicht! Gruß Ryan
Ich blinzelte, als ich die Worte auf meinem Display las. Woher…?
Hektisch tippte ich auf dem Bildschirm herum. Ich öffnete mein Telefonbuch, scrollte runter und wurde fündig. Ryan hatte seine Handynummer in meine Kontakte eingespeichert! Ich ärgerte mich über seine unverschämte Hartnäckigkeit, doch irgendwie beeindruckte sie mich auch. Ich ertappte mich dabei, wie ich still in mich hinein lächelte. So jemandem wie ihm, war ich zuvor noch nie begegnet.
Als ich die Haustür aufsperrte, fiel mein Blick auf den gestreiften Sessel, neben der Garderobe. Über der Armlehne lag das Jackett meines Vaters. Darunter hatte er seine Schuhe abgestellt. Ich warf meinen Schlüssel in die Schale auf der Kommode. „Paps?!“, hallte meine Stimme durch das gesamte Haus. Einige Sekunden später, erschien mein Vater auf der Treppe. “Hallo Mila”, begrüßte er mich und ein Lächeln umspielte seine Lippen.
„Du bist schon zuhause?“, wunderte ich mich. Normalerweise kam er nie vor zehn Uhr abends. Ein Blick auf die Uhr in der Küche verriet mir, dass es achtzehn Uhr war.
„Na ja, ich muss ja noch für Berlin packen und außerdem dachte ich mir, es wäre schön, wenn wir beide mal wieder zusammen Abend essen würden.“, erwiderte er und sah mich abwartend an.
Ich strahlte und schlüpfte aus meinem Mantel. „Das ist eine wirklich schöne Überraschung.“ Es war schon eine Weile her, dass wir uns richtig unterhalten hatten. Umso mehr freute es mich, dass er sich dafür heute einmal Zeit nehmen konnte. „Wo willst du denn hin gehen? Ins Steakhaus…oder lieber Sushi?“, wollte er wissen.
„Nichts da! Ich koche für uns. Dann können wir uns ganz in Ruhe unterhalten.“, erwiderte ich mit gespielter Strenge.
„Aber…das musst du doch nicht…“, setzte er an und lächelte gütig. „Keine Widerrede! Du weißt doch, ich koche gern. Du isst sowieso immer nur auswärts. Es wird Zeit, dass dich mal wieder jemand bekocht.“ Ich schnitt ihm das Wort ab und zwinkerte. „Also gut – überredet.“ Er zuckte schmunzelnd
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