Bittersueße Sehnsucht
schwarzes Schild, das von einer Neonröhre beleuchtet wurde. Irritiert sah ich mich um, doch Ryan zog mich tatsächlich auf den Eingang, des wenig einladend wirkenden Clubs zu, während der Hüne uns die Tür mit einem Nicken öffnete.
Ich folgte ihm über die Schwelle und fand mich in einem dunklen Flur wieder, der eher an den Eingangsbereich einer heruntergekommenen Wohnung erinnerte. Die Wände waren tapeziert mit Flyern von vergangenen und künftigen Veranstaltungen und es roch nach Bier. Ryan warf mir ein aufforderndes Lächeln zu, doch ich blieb steif stehen und sah hilfesuchend zu ihm. „Wo sind wir hier?“
„In dem zurzeit wohl angesagtestem Club in ganz München. War anfangs ein Geheimtipp für Hipster, aber jetzt will jeder dazugehören. “ Sein Mund berührte fast mein Ohr und er musste lauter sprechen, um gegen den Bass der Musik anzukommen.
Wie aufs Stichwort liefen zwei Jungs mit Nerd-Brille, Karohemd und Jutebeutel über der Schulter an uns vorbei. Ich sah ihnen mit offenem Mund nach und blickte zwei Sekunden später an mir herunter. Um Ryans Mund zuckte ein Schmunzeln. Wir waren definitiv beide Overdressed.
Aber meine Neugier siegte und so lief ich neben Ryan durch den Flur, der größer war, als er im ersten Moment angemutet hatte. Links teilte sich ein großer Raum ab und ein paar Meter weiter der Nächste. Am Ende des Flurs befand sich die Garderobe, an der wir unsere Jacken deponierten.
Nachdem Ryan uns zwei Corona besorgt hatte, betraten wir den Raum in der Nähe des Eingangs. Ein Typ im braunen Trenchcoat, den er wahrscheinlich seinem Opa gemopst hatte, hopste im Rhythmus der Musik auf der Tanzfläche herum und es gesellten sich immer mehr Gleichgesinnte zu ihm. Mein Blick fiel auf die abgewetzten Ledersessel, die die Wände des Raumes säumten. Sie schienen sehr begehrt zu sein, denn alle waren besetzt. Zum Teil mit mehr als drei Leuten. Fasziniert saugte ich diese fremden Eindrücke in mich auf und begann, fast unbewusst, im Takt mitzuwippen.
Ich drehte mich zu Ryan um und stellte fest, dass er verschwunden war. Mittlerweile war die Tanzfläche allerdings so voll, dass ich ihn nirgends entdecken konnte. Als ich mich erneut umblickte, stand er plötzlich grinsend vor mir und drückte mir ein Glas Tequila in die Hand. „Es scheint, du willst mich heute betrunken machen?“ Ich zog eine Augenbraue nach oben, musste aber kichern. Offensichtlich zeigten der Wein und das Corona schon seine Wirkung. „Nicht unbedingt, aber heute steht der Spaß an aller oberster Stelle. Wir waren beide viel zu fleißig die letzten drei Wochen!“ Mit diesen Worten stieß er sein Glas gegen meins, leckte den Zimt von der Orangenspalte und kippte den Tequlia hinunter. Ich tat es ihm gleich und biss in meine Orange. Kribbelnd breitete sich die Säure auf meiner Zunge aus. Ryan drückte mir einen Kuss auf den Mund und stellte die Gläser auf den Tisch hinter uns.
In diesem Moment spielte der DJ einen brandneuen Hit an und die Menge flippte zeitgleich aus. Wir wurden mitgerissen vom Strom der wippenden und tanzenden Körper und ehe ich mich versah, war ich mittendrin. Es war eng, heiß und stickig, aber das war mir in diesem Moment egal. Bei jeder Bewegung spürte ich Ryans Körper neben mir. Ich wurde von einer Euphorie beherrscht, die mir völlig fremd war. Schweißperlen liefen meine Nacken hinunter, doch Ryan fuhr mit seinem Finger über meine Unterlippe und zog mein Gesicht ganz nah zu sich. Seine Zunge öffnete fordernd meine Lippen und ich vergaß fast die ganzen Leute um uns herum, bis sich seine Lippen wieder von meinen lösten. Wir schwitzten, tranken, tanzten und küssten uns.
Doch irgendwann forderte mein Körper eine Pause. Ich versuchte Ryan zu signalisieren, dass ich auf die Toilette musste. Er nickte nur, während er sich weiter zur Musik bewegte und ich begann, mir einen Weg durch die vibrierende Menge zu bahnen.
Im Vergleich zur Tanzfläche, war es auf der Toilette fast schon still. Keuchend lehnte ich mich an die kühlen, weißen Fliesen und atmete kurz durch. Dann ließ ich mir eiskaltes Wasser über die Handgelenke laufen und betrachtete mich im Spiegel. Meine Wangen glühten und meine Augen schimmerten glasig.
Wer bist du?,
fragte ich mein Spiegelbild. Vor ein paar Monaten wäre ich viel zu selbstbeherrscht gewesen, um mich auf so etwas einzulassen. Und zu meinem Unbehagen musste ich mir eingestehen, dass ich die Zeit mit Ryan so sehr genoss. Mehr als ich es mir eigentlich zugestanden
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