Bittersueße Wahrheit
bereits entgegen.
Als Rafael durch die Toreinfahrt fuhr und Simon auf sich zueilen sah, hielt er den Wagen knapp fünf Meter nach der Einfahrt an. Er sah kurz zu Katelyn hinüber, die jedoch immer noch geistesabwesend zum Fenster hinausstarrte. „Wir sind da.“, sagte er tonlos. Er hatte die Fahrt über schon bemerkt, dass sich Katelyn in sich zurückgezogen hatte. Er hoffte jedoch inständig, dass sie den Schock, der aufgrund Starks Übergriff tief in ihren Gliedern zu sitzen schien, bald überwinden würde. Schließlich hatte er ja mit eigenen Augen gesehen, was Stark mit ihr gemacht hatte. Und natürlich hoffte er auch darauf, dass sie Simon nichts davon erzählen würde und bei seiner Version der Geschichte bliebe. Denn ehrlich gesagt, zum gegenwärtigen Zeitpunkt war er sich nicht mehr so sicher, was sie tun würde.
Er öffnete die Tür und stieg aus.
Simon hatte sie bereits erreicht, stürmte auf die Beifahrerseite zu und riss die Tür auf. Da saß sie, seine Katelyn, seine Frau. Unbeschadet und so schön wie eh und je. In ihrem schwarzen Kleid sah sie aus wie eine junge Göttin. Er reichte ihr die Hand und half ihr aus dem Wagen. Als er sie jedoch umarmen wollte, zuckte er zusammen, als sich seine Augen mit ihren trafen. Diesen Gesichtsausdruck kannte er. Diesen Gesichtsausdruck fürchtete er. O nein, bitte nicht, schoss es ihm durch den Kopf. Er wollte nie wieder in solch traurige Augen blicken, wenn er sie ansah. Sie waren anklagend. Kühl. Und verrieten ihm nicht ihren Gemütszustand. Sie brannten sich förmlich in seine. Hitze stieg in ihm auf. Er wurde nervös.
Katelyn war auf der Fahrt zu Simons Grundstück eine Menge durch den Kopf gegangen. Sicher, jetzt war bestimmt nicht der richtige Zeitpunkt, um dies zu klären, aber sie brauchte dringend ein paar Antworten. Sie war wütend. Wütend auf ihren Mann, der sie belogen hatte, der genau genommen noch nicht einmal vor dem Gesetz ihr Ehemann war. Was war sie nun für ihn? Seine Ehefrau? Oder nur sein Eigentum, das er nach Belieben benutzte so wie seine teuren Wagen? Doch als sie Simon in seine dunklen Augen sah, verflog ihre anfängliche Wut und sie spürte die Schmetterlinge in ihrem Bauch, die scheinbar wieder aus ihrem Tiefschlaf erwacht waren. Nichtsdestotrotz funkelte sie ihn böse an und versuchte, sich auf gar keinen Fall anmerken zu lassen, dass sie immer noch Liebe für ihn empfand, auch wenn er sie so sehr enttäuscht beziehungsweise in allen Dingen belogen hatte.
Simon hielt immer noch in seiner Bewegung inne, als wäre er im selben Moment zu Stein erstarrt, nachdem sie aus dem Wagen gestiegen war. Er schien den Atem anzuhalten und wagte nicht, sie zu berühren, geschweige denn zu umarmen. Ihre vor Wut glühenden Augen brannten förmlich ein Loch in seine Brust. Er wollte sich von ihrem Blick lösen. Doch er konnte sich nicht von ihr abwenden, egal wie sehr er sich auch bemühte. Sie hielt ihn weiterhin in ihrem Blickfeld gefangen. Er war noch nicht einmal dazu fähig, irgendetwas zu sagen. Er wusste nicht was. Er war so in Lügen verstrickt, dass er fürchtete, sich im nächsten Augenblick zu verraten, wenn er den Mund aufmachte. Daher hielt er es für eindeutig besser, erst einmal abzuwarten, was sie überhaupt zu sagen hatte. Vielleicht hatte ihr Stark ja gar nicht alles erzählt. Nur ein bisschen etwas. Obwohl, nach ihrem Gesichtsausdruck zu urteilen, musste es entschieden zu viel gewesen sein, sonst würde sie ihn nicht mit diesem anklagenden Blick anstarren. Denn er war eigentlich fest davon überzeugt gewesen, ihn letzte Nacht schon restlos ausgeräumt zu haben. Nie wieder sollte sie ihn so ansehen! Mit diesem strafenden Blick! Und jetzt war er tatsächlich in ihren Gesichtsausdruck zurückgekehrt. Er hätte nicht gedacht, dass ihn die Ereignisse der Vergangenheit schon so schnell wieder einholen würden. Denn davor hatte er sich am meisten gefürchtet. Am liebsten hätte er ihr mit seinem schwarzen Tuch, das er immer bei sich trug, die Augen verbunden, um sich in ihrer Gegenwart sicherer zu fühlen. Doch er war wie gelähmt. Außerdem wollte er auch nicht mehr auf solche Methoden zurückgreifen, um sie gefügig zu machen. Er wollte ihr Herz erobern, nicht ihren Hass ernten. Simon fuhr sich mit den Händen verzweifelt durch sein Haar. Seine Nervosität war unübersehbar. Das Dröhnen in seinen Ohren machte ihn verrückt. In seiner jetzigen Verfassung bemerkte er noch nicht einmal, dass es sein eigener Herzschlag war, der ihn
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