Bittersueße Wahrheit
wahnsinnig machte und mit einer schallenden Geschwindigkeit durch seine Ohren jagte. Seine Gedanken überschlugen sich förmlich, denn viel Zeit bliebe ihm bestimmt nicht mehr, um nach der richtigen Antwort zu suchen. Gleich würde sie das Unausgesprochene aussprechen. Blitzschnell ging er in seinem Kopf alle Möglichkeiten durch, was sie eventuell zu ihm sagen würde und was er dann darauf antworten könnte. Doch dann entschied er sich dazu, sich zuerst ihre Version der Geschichte anzuhören, bevor er seine vor ihr ausbreitete. Ja, genau! Er würde sich zuerst einmal vergewissern, wie viel sie wusste. Gute Idee, Simon, sprach er sich selbst Mut zu. Doch ihr sekundenlanges Schweigen kam ihm vor wie eine halbe Ewigkeit. Es zermarterte ihn schier.
Rafael befand sich immer noch auf seiner Seite des Wagens und beobachtete das Geschehen aus sicherer Entfernung. Er spürte die nervenaufreibende Spannung förmlich, die zwischen den beiden herrschte. Deshalb hielt er es für vernünftig, sich vorerst nicht einzumischen. Die unsichtbare Barriere, die sich binnen Sekunden zwischen den beiden hochgezogen hatte, ließ auch ihn in der Bewegung erstarren. Dennoch fasste er sich schneller wieder als sein Freund, der immer noch reglos vor Katelyn stand. Zudem hatte sich das Verhalten der beiden schlagartig verändert. Anstatt sich in die Arme zu fallen, wie man es für normal gehalten hätte – zumindest nach dem positiven Ausgang solch einer Entführung – starrten sie sich nur stumm an. Rafael schickte unbewusst ein leises Stoßgebet zum Himmel. Am liebsten hätte er diese Angelegenheit selbst wieder eingerenkt, aber das lag außerhalb seiner Reichweite, denn schließlich hatte er auch nur eine begrenzte Möglichkeit, Simons Liebesleben zu beeinflussen. Immerhin war er nicht Gott! Auch wenn er sich gelegentlich ein klein wenig wie einer fühlte. Katelyn wirkte in seinen Augen kühl und distanziert; er hielt jedoch ihren gegenwärtig angeschlagenen Gemütszustand dafür verantwortlich. Stark musste ein regelrechtes Trauma bei ihr ausgelöst haben. Aber dafür würde er schon noch büßen! Diesbezüglich war er sich sicher. Nicht umsonst war er ein Profi! Eisige Stille herrschte immer noch zwischen den beiden, die langsam auf ihn überzugreifen schien. Es schnürte ihm buchstäblich die Kehle zu. Möglicherweise hielt er sich gerade deshalb im Hintergrund auf, um Simon und Katelyn ihren Kampf selbst ausfechten zu lassen. Eine Entscheidung würden beide heute sicherlich herbeiführen. Egal wie sie ausfiel.
Simon rührte sich immer noch nicht. Er war nur einen Hauch weit von Katelyn entfernt und wagte kaum zu atmen. Er unternahm nichts, um diese eisige Stille zu durchbrechen. Es wäre so denkbar einfach gewesen, sie zu berühren, sie einfach an sich zu ziehen. Doch er tat es nicht. Er wich ihrem durchdringenden Blick immer noch nicht aus, obwohl ihre stumme Anklage einen ziehenden Schmerz in seiner Brust auslöste, der ihn schier zerriss. Das Adrenalin rauschte durch seine Venen, seine Nervosität stieg stetig an und sein rasender Herzschlag wollte sich nicht beruhigen. Gerade deshalb bemerkte er auch nicht, dass sich seine Leute um den Wagen scharrten und ihn sowie Katelyn skeptisch beäugten. Sie hatten eigentlich eine völlig andere Reaktion erwartet. Niemand sagte ein Wort. Niemand wusste, wie er auf diese Situation reagieren sollte.
Katelyn überlegte fieberhaft, welche Frage sie zuerst stellen sollte. Es waren so viele , die in ihrem Kopf umherschwirrten wie lästige Fliegen. Natürlich hätte sie auch warten können, bis sie alleine mit ihm war [was mit Sicherheit geschickter gewesen wäre, denn ihr war wohl bewusst, dass die anderen um sie herumstanden. Sie spürte förmlich, wie sich ihre neugierigen Blicke in ihren Rücken bohrten], aber es drängte sie so sehr, die Dinge jetzt zu bereinigen. Sie musste es wissen. Konnte nicht länger warten. Denn sie war innerlich sehr aufgewühlt. Es zerriss sie schier. Und der Drang, endlich Antworten auf all das zu erhalten, in diesem Augenblick einfach zu übermächtig. „Stimmt es, was er über dich und mich erzählt hat?“ Ihre leisen Worte klangen wie scharfe Messerstiche in Simons Ohren und er rang mit der Antwort. Sie sprach zwar sehr leise, dennoch hörten es alle. Das leise Raunen, das über den Platz hinwegfegte, verklang auf einen Schlag, als Rafael warnend die Hand erhob und ihnen damit Einhalt gebot. Es wurde totenstill. Aber ausschließlich jeder fragte sich: Was
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