Bittersueße Wahrheit
Sprich!“, drängte er abermals auf eine Antwort. Sein Atem ging stoßweise und schien das einzig wahrnehmbare Geräusch zu sein. Hinter der Tür rührte sich immer noch nichts. Zumindest versuchte man noch nicht, sie von innen aufzubrechen.
Katelyn war immer noch wie gelähmt, dennoch schaffte sie es, den Kopf verneinend zu schütteln. Ihre Sprache hatte sie jedoch noch nicht wiedergefunden. Sie brachte immer noch kein einziges Wort über ihre Lippen.
Rafael hob sie geschwind auf seine Arme und trug sie hastig den Flur entlang zum Ausgang. Ihm war wohl bekannt, dass während einer derartigen Verhandlung keine Waffen zugelassen waren. Daher war ihm auch sofort klar, dass keiner von ihnen dort drinnen bewaffnet war. Ein leichtes Unterfangen für ihn. Für Starks Sicherheit sorgten zwar während eines Tribunals immer seine besten Männer, die in den unteren Räumen postiert waren – es war für gewöhnlich Starks Leibwache – dennoch war es ein leichtes Spiel für Rafael gewesen, Starks Bodyguards lautlos auszuschalten. Deshalb konnte er nun auch gefahrlos wieder aus dem Gebäude heraus, ohne befürchten zu müssen, auf Widerstand zu treffen. Aber er musste sich beeilen, denn viel Zeit würde ihm sicherlich nicht mehr bleiben. Zwar genügend, um mit Katelyn von hier wieder zu verschwinden, aber nicht genug, um mit ihr Simons sicheres Territorium zu erreichen.
Als er aus dem Gebäude stürmte und kurz darauf seinen Fluchtwagen erreichte, setzte er Katelyn auf dem Beifahrersitz ab, holte aus dem Kofferraum ein schwarzes, kurzes Sommerkleid heraus, das er heimlich aus ihrem Schrank entwendet hatte, und legte es Katelyn auf ihren nackten Schoß. „Zieh das bitte an. Und sag Simon nicht, wie weit Stark gegangen ist. Er muss es nicht wissen. Sonst veranstaltet er hier nur ein Blutbad. Sag ihm, ich habe dich herausgeholt, bevor er Hand an dich legen konnte. Okay? Und keine Angst, ich kümmere mich später um ihn. Auf meine Weise. Er hat das alles nicht umsonst gemacht. Das verspreche ich dir.“ Rafael wollte unter allen Umständen vermeiden, dass sein Freund einen Krieg anzettelte. Er wusste aber, dass Stark bereits eine Grenze überschritten hatte, als er Katelyn nackt an dieser Eisenkette aufgehängt hatte. Wüsste sein Freund, dass Stark seine Frau auch noch unsittlich berührt hatte, wäre er durchgedreht und nicht mehr zu bremsen gewesen. Und James Stark hatte er spätestens jetzt zu seiner persönlichen Angelegenheit gemacht.
Katelyn s ah zu ihm auf. Sie wirkte in diesem Moment wie ein kleines Schulmädchen. Ihre Augen waren nass. „Stimmt es, was sie über Simon und mich erzählt haben?“, krächzte sie leise. Ihre Worte drangen kaum hörbar aus ihrer Kehle.
Rafael wusste nicht, was er darauf erwidern sollte. Also schwieg er und strich ihr stattdessen mit der Hand zärtlich übers Haar, dann schlug er die Beifahrertür zu und stieg auf seiner Seite des Wagens ein.
„Wieso sagst du denn nichts?“, fragte sie mit weinerlicher Stimme.
Ihr gequälter Gesichtsausdruck brachte ihn fast aus dem Konzept und ihr rührender Hundeblick brannte sich regelrecht in seine Augen. Seine Brust zog sich so fest zusammen, dass der gewaltige Schmerz, der darin tobte, ihn für einen kurzen Moment zu erdrücken drohte. Er fasste sich jedoch sofort wieder und wandte den Blick von ihr ab. Er zündete den Motor. „Wir müssen hier schleunigst weg!“, wich er ihrer Frage geschickt aus.
O je, sie hatten also recht, schoss es Katelyn durch den Kopf. Wieso sonst verneinte Rafael nicht einfach ihre Frage? Sie richtete den Blick nach rechts und sah geistesabwesend aus dem Fenster. O Gott, Simon war also doch ein Monster. Immer enger zog sich ihre Brust zusammen und der Kloß in ihrem Hals wurde immer dicker. Sie legte die Arme um ihre Mitte, um den inneren Schmerz abzuwehren. Noch niemals in ihrem Leben zuvor hatte sie ein solch schrecklicher Liebeskummer geplagt.
Rafael sprach die ganze Fahrt über kein Wort mit ihr. Viel wichtiger schien es ihm zu sein, sie heil hier wieder herauszubringen. Konzentration war deshalb oberstes Gebot! Er würde sich schon noch darum kümmern, dass sie die schrecklichen Ereignisse, vor allem aber das Gesagte, so schnell wie möglich wieder vergaß. Und wenn er dafür lügen müsste, um Simon in Schutz zu nehmen. Das war auch der Grund für sein Schweigen. Er beabsichtigte nicht, sich auf irgendeine Art und Weise zu versprechen. Egal in welcher Hinsicht! Im Prinzip wollte er aber nur unbedachte
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