Bittersüßes 7. Jahr
Möwen.
Ferro-Bornemeyer schlief ein, als es dämmerte.
Er träumte unruhig. Wenigstens der Traum entschädigte ihn für die Wirklichkeit.
Die Fahrt durch Paris war schön und langweilig zugleich. Zwar tat der französisch-berlinische Chauffeur alles, um Peter Sacher die Kostbarkeiten der Stadt zu zeigen und auch in jene Gebiete zu fah ren, wo beim Einbruch der Dämmerung das Leben erst beginnt. Aber alles dieses zu sehen vom Rücksitz eines Autos aus, allein, mißmutig und gedanklich zwischen Sabine auf Borkum und Cou cou auf der Couch hin und her pendelnd, hinterläßt nicht mehr als eine große Leere.
Vor einem kleinen Restaurant in der Rue Etienne ließ Peter sich deshalb absetzen, bezahlte den Fahrer mit einem dicken Trinkgeld und versprach, die Telefonnummer, die der Chauffeur ihm gab, bestimmt anzurufen, wenn er Hilfe und fachmännischen Rat für das Pariser Nachtleben brauchte.
»Ick kenne die tollsten Puppen!« sagte der Chauffeur. »Jerade, wo Sie Architekt sind, da kennen Se doch wat von Formen und Körperbau, wat?«
Peter Sacher nickte und ging in das Restaurant. Er aß zu Mittag, studierte die Mittagszeitungen und las etwas von einem Galopprennen auf dem Pariser Rennplatz Longchamps.
Longchamps, dachte er. Das hat einen Namen unter den europäischen Turfplätzen. Dort trifft sich die Eleganz von Paris. Dort sieht man schöne Pferde und Frauen. Dort muß etwas los sein, was die trüben Gedanken verscheucht.
Wer Laie im Pferdesport ist, wer es nur kennt aus den Wochenschauen und Filmen, hat schnell einen etwas verschrobenen Eindruck von diesem Sport. Auch Peter Sacher machte darin keine Ausnahme. Er las noch einmal die große Anzeige in der Zeitung und legte sie dann zur Seite.
Was braucht man alles für Longchamps, überlegte er.
Zuerst einen grauen Zylinder.
Das ist das markanteste auf den Rennplätzen, wie es im Film immer gezeigt wird: grauer Zylinder, hellgrauer Cut, weiße Gamaschen. Dazu ein Fernglas. Eine dicke Starterliste. Totozettel, Buchmacheradressen und eine dicke Brieftasche voller Geld. Die dazugehörigen schönen Frauen stellen sich dann von selbst ein.
So dachte Peter Sacher. Man sieht, er war ein Laie des Pferdesports. Außerdem stand es so in der Zeitung, die er in der Hand hielt. Ein großes Werbebild war neben dem Text: Es zeigte einige sehr vornehme Herren im grauen Cut mit Zylinder und herrlich schöne Frauen in luftigen Sommerkleidern und breiten, aus Nylon hingehauchten Hüten.
Es stand außer Zweifel, daß ein Rennen in Longchamps zu den großen gesellschaftlichen Ereignissen gehörte und dazu auch den äußeren Rahmen verlangte.
Er bezahlte und trat hinaus auf die sonnenheiße Rue Etienne. An der Ecke zur Avenue de l'Opéra parkte eine Taxe. Es war der französisierte Berliner. Von der Sonnenglut erschlafft, saß er auf dem Fahrersitz, den Kopf zurückgelehnt und schlief. Sein Schnarchen, das aus dem offenen Mund entwich, war gewaltig, der Anblick nicht gerade ästhetisch.
Peter drückte auf die Hupe. Grell schrie sie auf. Der Chauffeur fuhr empor, mit stieren Augen boxte er um sich. »Alarm!« schrie er. »Alarm!« Dann wurde sein Gehirn klar, und er erkannte seinen deutschen Fahrgast.
»Det is'n Ding!« schrie er. »Ick schlafe ein, träum von die Mädcher, und Se wecken mir, als ich jrade zujreifen will. Sacre bleu! Wat is, Landsmann? Noch mal en bißchen durch Paris, oder zur Tagesabsteige, wat?«
Peter Sacher setzte sich wieder auf seinen Rücksitz. »Hinaus nach Longchamps – was halten Sie von der Idee?«
»Schön. Da sind die dicken Brocken. Die kosten aber Jeld, Herr Architekt! Die haben alle ihre eijene Wohnung.«
»Pferde will ich sehen! Sonst nichts. Ich brauche aber dazu noch einige Kleinigkeiten. Vor allem die nötige Kleidung.«
Der Berliner lachte breit. »Vastehe! Grauer Bibi, wat? Graue Schwalbenschwänze und weiße Treter. Sie, ich weeß 'n Geschäft, die so 'n Dreh verleihen. Kleene Kaution und pro Tag 1.500 Franken. Det is billiger, als sich die Klamotten zu koofen! Ick fahr Se hin, wat?!«
Er fuhr los, kreuz und quer durch Paris. In einer dunklen Gegend in der Nähe der Rue Riquet hielten sie vor einem kleinen, düsteren, schmutzigen Kleiderladen. In seiner blinden Schaufensterscheibe spiegelten sich der Schmutz der Straße und die grauen Fassaden der Häuser. Hinter dieser Scheibe sah man lange Ständer mit gebrauchten Anzügen aller Farben und Formen. Selbst Uniformen hingen da aus vier Jahrhunderten. Der Fundus eines
Weitere Kostenlose Bücher