Bittersüßes 7. Jahr
Trödlers.
»Hier?« fragte Peter Sacher gedehnt und rieb sich die Nase.
»Ja.«
»Das sieht nicht sehr vertrauenerweckend aus.«
»Hier leihen sich die verarmten Grafen ihre Fräcke, wenn sie einmal eingeladen werden. Sylvester holte hier der Fürst Odnisuppoff seine zaristische Uniform. In allen Zeitungen war er abgebildet, weil die sowjetische Botschaft Protest gegen dieses öffentliche Auftreten einlegte. Und der Marquis von Sustière leihte sich …«
Peter winkte ab. »Ich glaub' es Ihnen. Aber wenn man so durch die dreckige Scheibe guckt?«
»Det is eben Paris, Landsmann! Det vastehen de Fremden nicht. Hier is det Schmutzigste det Reellste. Je mehr Kronleuchter, um so jrößer de Gauner! Sehn Se sich die Buchläden an. An der Seine die Karren, det sin die Joldjruben! Da kann man wat Schönes koofen für 'n paar Centimes. Da kommen se von den Universitäten, olle Professoren, und kramen in den dreckigen Karren herum.«
Er stieg aus, ging zur Tür des kleinen Ladens und zog an der Schelle. Es schepperte grell, die rostigen Türangeln quietschten, als er die Tür öffnete. Peter Sacher folgte ihm. Daß es so etwas noch im 20. Jahrhundert gibt, dachte er.
Aus dem Halbdunkel des Hinterladens schoß ein rundes Männlein hervor. Es hatte einen riesigen Kopf, der nur aus ineinandergedrehten Haaren zu bestehen schien. In diesem Gewirr von Bart, Löwenmähne, Ohren und Mundschlitz schwankte eine große Goldbrille.
Er betrachtete die Eintretenden ganz genau. Jetzt schätzt er den Preis, dachte Peter. Dann wurde er von einem Wortschwall überschüttet. Er kam mit einem Luftzug, der nach Zwiebeln roch. Der Chauffeur nickte und brüllte dazwischen. Gleich schlagen sie sich, durchfuhr es Peter. Aber nichts dergleichen geschah. Der kleine Mann schien im Bilde zu sein und rannte wieselschnell davon.
Zwischen den Regalen entstand eine Unruhe. Kleider wurden hin und her geschoben, es raschelte laut. Ständer und Stangen schwankten, irgendwo krachte es laut, als fiele eine Decke ein, dann kam das Männlein auch schon zurück, über dem Arm die Ausstattung eines Gentleman tragend.
Grauer Cut, hellgrauer Zylinder, schwarze Lackschuhe, weiße, hohe Gamaschen. Alles breitete es auf einer schmutzigen Glastheke aus, unter der Talmischmuck in Haufen lag. Mit glänzenden Augen strich es die Revers des Cuts glatt und machte die Geste eines Eroberers, der seinem König einen Erdteil vor die Füße legt.
»S'il vous plait!«
»Bon.« Peter Sacher nahm den Cut, zog seine Jacke aus und probierte ihn an. Der kleine Mann schien ein vortreffliches Augenmaß zu haben. Er schlug die Hände begeistert zusammen und sprang in die Luft wie ein hingeworfener Gummiball.
»Excellent!« rief er schrill. »Un comte!«
»Wie 'n Jraf«, dolmetschte der berlinische Franzose. »Det is wirklich wahr. Se sehen aus! Piekfein! Se haben de richtige Cutfijur.« Er stülpte Peter noch den grauen Zylinder auf den Kopf und schob ihn vor einen großen, blinden, fleckigen Spiegel, dessen unterer Silberbelag abblätterte. »Der schönste Mann von Longchamps. Wat!? Det jibt Chancen bei die Weiber.«
»Ich will Pferde sehen!« sagte Peter Sacher noch einmal betont.
»Det sajen se alle, die nach Paris kommen.«
Peter zog den Cut aus und setzte den Zylinder ab. Er zahlte die Hinterlegungssumme, die der Chauffeur nach einem erregten Handel mit dem Männlein nannte, sah dann sein gräfliches Aussehen in rohes Packpapier verpackt und verließ den Laden mit dem Gefühl, die Pariser nie verstehen zu lernen.
Im Wagen, das Paket auf den Knien, tippte er dem Fahrer auf die Schulter.
»Jetzt müssen wir irgendwohin, wo ich mich unauffällig umziehen kann. Die Rennen beginnen in einer Stunde. Um nach Hause zu fahren, ist es jetzt zu spät.«
Im geheimen fürchtete er, daß Coucou zurückgekommen war. Mit Coucou aber nach Longchamps zu fahren, schien ihm unmöglich. Man sah Coucou an, wer sie war.
»Det werd'n wir och jleich haben«, sagte der Chauffeur. Die Taxe raste in einem mörderischen Tempo durch die belebten Straßen, bremste kreischend vor den Ampeln, schlidderte am Canal de l'Ourcq vorbei. Peter Sacher schloß die Augen. Er hatte nicht mehr die Nerven, das anzusehen, was er selbst in Düsseldorf tat, wie Sabine behauptete, die neben ihm saß und es deshalb wissen mußte.
»Hier ist's«, sagte der Chauffeur. Peter öffnete die Augen. Sie standen vor dem Gare de l'Est.
Mit seinem Paket unter dem Arm verschwand Peter im Gewühl der Reisenden. Auf der
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