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Bittersüßes 7. Jahr

Bittersüßes 7. Jahr

Titel: Bittersüßes 7. Jahr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Bahnhofs-Toilette zog er sich um. Wie einst der Hauptmann von Köpenick, verließ er wenig später den ungesellschaftlichen Ort in eleganter Gesellschaftskleidung.
    In dem kleinen Spiegel vor dem Waschbecken – einmal Waschen 30 Francs – kämmte er sich sorgfältig, setzte dann seinen hellgrauen Zylinder auf, gab dem Toilettenwärter, der ihn sprachlos beobachtete, ein fürstliches Trinkgeld und verließ dann den Gare de l'Est.
    Auf dem Bahnhofsvorplatz stand der Chauffeur und verneigte sich tief.
    »Herr Jraf, die Pferde sin jesattelt! Wenn Se jetzt noch am Toto 'ne Stange Jeld jewinnen, taufe ick mir um und nenne mir nur noch Nulpe.«
    Dann fuhren sie langsam, wie es sich für die sichtbare Würde gehörte, durch das sonnenflimmernde Paris hinaus in den Bois de Boulogne.
    Am Rande dieses Pariser Stadtwaldes liegt die Rennbahn von Longchamps. Mit einem Blick auf die Seine Fleuve, mit seiner überdachten Tribüne, den weiß eingefaßten Kurvenplätzen, den Totoständen und dem weißen Start-und-Ziel-Haus ist das große Oval der Rennbahn eine Arena der Haute Couture, eine Naturbühne schöner Frauen in Kleidern von Dior, Fath und Schiaparelli, ein Zirkus männlicher Raubtiere und ein Irrgarten dummer Eitelkeiten.
    Auf Longchamps gesehen und bemerkt zu werden, ist der Höhepunkt der Saison. Eine Frau, über die man in Longchamps nicht spricht, verliert ihr gesellschaftliches Renommé.
    Das alles hatte Peter Sacher einmal gelesen. Es war ein bissiger Kommentar, dessen er sich jetzt erinnerte. Aber als sie langsam in die Allée de Longchamps einbogen und sich in den Korso der eleganten Wagen einreihten, eine popelige Taxe unter den chromblitzenden Ungeheuern der Straße, verstand Peter, was es hieß, mit Anstand und Würde borniert zu sein.
    Zwischen schattigen Bäumen fuhren sie im Schrittempo dahin, bewunderten die Garderoben der Damen in den offenen Luxuskabrioletts, die ihre Liebhaber auf Wechsel laufen hatten, ließen sich bewundern und ahnten, welchen Glanz sie in Longchamps selbst zu erwarten hatten.
    Am Eingang zur Rennbahn, umgeben von riesigen Parkplätzen und den Begleiterscheinungen der Zivilisation in Gestalt von nicht zählbaren Verkaufsbuden für Andenken (trabendes Pferdchen aus Gips nur 100 Francs), Eis, türkischen Honig, belegte Brötchen und eindeutige Zeitschriften in neutralem Einband, hielt die Taxe an. Der Chauffeur drehte sich grinsend um und nickte.
    »Da sind mer! Und nun viel Spaß, Landsmann! Meine Nummer haben Se ja noch, wat?«
    Peter bezahlte schnell, stieg aus dem Wagen, reckte sich diskret, setzte den Zylinder gerade und sah sich um. Hinter ihm fuhr der Wagen an, zu früh, denn Peter Sacher wirbelte herum und winkte verzweifelt dem wegrasenden Auto nach.
    Eine Feststellung raubte alle Haltung, die sein Äußeres darbot.
    Er war neben einigen Rennstallbesitzern einer der wenigen Besucher des Rennens in grauem Zylinder und grauem Hut. Niemand dagegen trug weiße Gamaschen. Die Männer hatten der Hitze wegen ihre Röcke irgendwo aufgehängt … im Hemd, die Ärmel hochgerollt, standen sie neben ihren eleganten Damen.
    Peter Sacher stand verlassen vor dem Eingang. Hunderte von Blicken sahen zu ihm hin. Man beobachtete ihn. Man bewunderte ihn: Bei der Hitze formvollendet! Er war zum Mittelpunkt geworden.
    Mit steifen Knien ging Peter zum Eingang und löste eine Karte. Die Blicke folgten ihm. Er spürte sie in seinem Rücken. Wie tausend Nadeln stach es ihm im Nacken.
    Alte Schule, dachte man. Und schwer reich. Wer bei 30 Grad im Schatten um seiner Kleidung und Vornehmheit willen schwitzt, muß so viel Geld haben, daß er schon gar keine körperlichen Bedürfnisse mehr hat.
    Einige Damen, leider etwas zu auffällig geschminkt, um zur first class zu gehören, schoben sich an ihn heran und lächelten ihm zu. Ein Buchmacher stürzte auf ihn zu. Er zeigte ihm eine lange Liste mit Pferdenamen und nannte Zahlen. Als er hintereinander französisch, englisch, spanisch, italienisch, deutsch und russisch gesprochen hatte und der graue Mann noch immer schwieg, zog er sich schulterzuckend zurück.
    Ein Nabob, dachte er. Man sollte auch noch indisch lernen.
    Ein Herr, der eine Binde mit der Aufschrift ›Rennleitung‹ um den Arm trug, kam auf ihn zugeeilt.
    »Comtede Reilly?« fragte er mit einer tiefen Verneigung. Peter schüttelte den Kopf. Mit heiserer Stimme sagte er schwach:
    »Non.«
    Dann fiel ihm ein, daß ein Franzose immer für Höflichkeiten aufgeschlossen ist. Er verneigte sich ebenfalls

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