Bittersüßes 7. Jahr
ich wieder aufgestanden und habe seine Taschen kontrolliert. Ich habe Hotelrechnungen gesucht, Kellnerbelege, Adressen und Telefonnummern von Frauen. Ich habe an seinem Anzug herumgeschnuppert wie ein Hund, ob nicht ein fremdes Parfüm an ihm klebte. Ich habe neben ihm gelegen und sein Gesicht angesehen: Was denkst du jetzt, habe ich gegrübelt. Was geht hinter dieser Stirn vor? Welche anderen Lippen hat dieser Mund geküßt? Welche Geheimnisse liegen hinter diesen Haaren? Vergangen bin ich vor Eifersucht. Und am Morgen war ich einsilbig, knurrig, böse, aber ich war zu stolz, ihm zu sagen, warum ich so war. Einmal habe ich es getan, da hat er mich schallend ausgelacht und mich ein Schaf genannt. Von da ab habe ich alles in mich hineingefressen, um nicht wieder ausgelacht zu werden. Ich habe alles, alles falsch gemacht! Und jetzt sind Sie Wahnsinniger da und entführen mich auch noch!«
»Ich würde dich auf Händen tragen, wenn du meine Frau wärst«, sagte Ferro kühn. Wie er das machen wollte, darüber dachte er nicht nach. Das Gehalt eines kleinen Assessors ist nicht in der Lage, eine Frau wie Sabine Sacher zu verwöhnen. »Ich werde zu deinem Mann fahren.«
»Nichts werden Sie! Ich werde versuchen, ihm alles zu erklären. Ich werde reumütig nach Düsseldorf zurückkehren und nichts mehr sagen, gar nichts, wenn ich wieder nur ein Einrichtungsgegenstand seiner Villa bin, ein lebendes Inventar, ein Prellbock seiner Launen und nach außen hin ein Renommierpüppchen seines Wirtschaftswunders.« Sie fuhr zu Ferro herum, der wie geschlagen neben der Tür stand. »Ich liebe meinen Mann! Und von Emden aus fahre ich zurück nach Düsseldorf!«
Ferro-Bornemeyer nickte. »Dort werden Sie fünf Wochen ganz allein sein. Denn Ihr Mann vergnügt sich sechs Wochen lang in Paris! Er wird keine Stunde davon abziehen, oder glauben Sie das?«
»Wenn ich ihm schreibe: Peter, komm.«
»Machen Sie den Versuch!«
Sabine Sacher wandte sich ab. Würde Peter kommen, wenn sie ihm schrieb? Sie wußte es nicht. Vielleicht lachte er wieder und schrieb zurück: Unsere sechs Wochen wollen wir durchstehen! Du hast es so gewollt! Wieder überfiel sie die Ungewißheit und die Angst vor der Scham, von ihm ausgelacht zu werden. Wie wenig kennt man seinen Mann, dachte sie.
»Ich werde es tun«, sagte sie. Sie wußte, daß sie ihm nicht schreiben würde. Er ist ein Dickkopf. Ich kann es auch sein. Wenn man nur einmal sehen würde, daß ihm alles leid tut. Es wäre ja alles so einfach und herrlich.
Was Ferro-Bornemeyer nie geglaubt hatte, geschah in Emden.
Sabine erklärte sich bereit, mit nach Nizza zu fahren.
»Aber zwischen uns ist eine Distanz wie unter guten Freunden!« stellte sie fest. »Wir vergessen, daß wir uns jemals geküßt haben! Ich fahre nur deshalb nach Nizza, um meinen Mann von Paris nachkommen zu lassen!«
»Natürlich!«
Bornemeyer war bereit, alles zu akzeptieren. Die Gegenwart Sabines allein genügte ihm, dazu Nizza, das Mittelmeer, die Palmen und die Illusion, reich zu sein.
Der kleine Mann Bornemeyer erlebte ein Märchen, das ein anderer bezahlte. Und er war bereit, für dieses kurze Märchen alles zu opfern und alle Konsequenzen zu tragen.
Im Gare d'Orléans stauten sich die Menschen vor den Fahrkarten schaltern. Zeitungsjungen riefen die Morgenblätter aus. Irgendwo hatte ein Politiker gesagt, die Lage sei noch nie so ernst gewesen. Die zu den Zügen hastenden Menschen hörten kaum hin. Es ver geht keine Woche, in der ein Politiker nicht so etwas sagt. Viel leicht gehört es zur Berechtigung ihrer Gehälter, so etwas zu sagen. Wer weiß es?
Auf einer Bank des Bahnsteigs 1 saß Peter Sacher und wartete auf seinen Zug nach dem Süden. Nach Nizza.
Er kam sich schlecht vor, und er hatte allen Grund, einen seelischen Kater mit sich herumzuführen.
Als er am Morgen das Haus Rue Championnet 25 verließ, hatte er nur einen Gedanken gehabt: Sofort zurück nach Düsseldorf! Er hatte Yvonne verlassen, so, wie sie es wollte. Während sie schlief, hatte er sich weggeschlichen, war in die Rue de Sèvres gefahren, hatte seinen Koffer gepackt und war hinausgefahren zum Gare d'Orléans.
Aber er kam nicht weit. Schon zwei Straßen von der Rue de Sèvres entfernt stieß er mit einem Milchwagen zusammen, weil er von Sabine träumte.
Drei Stunden dauerte das Polizeiverhör, das Abschleppen in die Werkstatt, dann endlich fuhr er mit einer Taxe zum Bahnhof, etwas verstört, nun auch noch ohne Wagen, denn die Reparatur, ein neuer
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