Bittersüßes 7. Jahr
umzuwenden. »Titel: ›Sonnenreigen‹.«
Peter warf einen Blick auf die bunt beschmierte Leinwand und setzte sich auf die Couch.
»Immerhin, der Titel ist schön. Mir will nur nicht in den Sinn, wieso geometrische Figuren im Sommer tanzen können.«
Yvonne blickte böse zur Seite. Ihre Augen waren dunkel.
»Das sind Kinder!«
»Kinder?« Er betrachtete die Winkel und Kreise noch einmal. »Ich danke Gott, daß du nicht meine Frau bist, Yvonne.«
»Oh!« Sie sprang auf und warf die Palette auf den Boden. »Warum, mon Cher?«
»Ich würde in der ständigen Angst leben, unsere Kinder müßten so aussehen wie deine Gemälde.«
»Du bist gemein!«
»Ehrlich.«
»Das ist oft dasselbe! Picasso bekam für solche Bilder 500.000 Francs!« Sie warf den Pinsel, den sie noch in der Hand hielt, auf den Tisch. Ein großer, knallroter Fleck entstand auf der Platte. »500.000 Francs!« wiederholte sie böse.
Peter nickte. »Das ist eines der Rätsel, vor denen auch Philosophen verzweifeln.«
Sie verzog den Mund, es sollte echt wirken, ein Spott für den Kulturbanausen, bedeckte die Staffelei mit einem Nesseltuch und wandte sich dann zu Peter.
»Was willst du?« fragte sie knapp. »Bist du zurückgekommen, um mich zu ärgern?«
»Ich fürchte es fast, Yvonne.«
»Frechheit!«
»Nein, Yvonne, es ist eine große Traurigkeit.« Peter Sacher sah zu Boden. Das Mondlicht, das über die Dächer von Montmartre glitt und durch die große Glaswand fiel, verwandelte den Staub auf den Dielen zu Silberflocken. Yvonne hatte die Scheinwerfer ausgeknipst, nur das Mondlicht erhellte fahl das Atelier.
Yvonne lehnte sich an die Staffelei. Ihr Mund zuckte, aber es war so dunkel, daß Peter es nicht sah.
»Du willst weggehen«, sagte sie leise.
»Ich muß morgen früh Paris verlassen.«
»Für immer verlassen? Mich verlassen.«
»Nicht dich. Paris!«
»Das ist doch dasselbe.«
»Nein. Ich verlasse eine Stadt. Aber ich lasse mein Herz bei dir zurück.«
»Wie du lügen kannst.«
»Yvonne!«
Er sprang auf, aber die Hand Yvonnes, die aus der Dunkelheit abwehrend ihm entgegenfuhr, hielt ihn zurück.
»Warum lügt ihr Männer alle, wenn ihr weggeht? Warum 'abt ihr nicht den Mut, zu sagen: Es geht nicht mehr! Ich gehe zu meiner Frau zurück, oder ich 'abe dich satt, oder du langweilst mich, oder ich 'abe eine andere Geliebte. Es gibt doch so viele Gründe und Worte, die einer Frau so weh tun, daß man aus Trotz sagt: Nun geh doch schon! Ich 'abe dich auch über! Man geht am besten auseinander, wenn man sich abtötet. Eine Lüge ist so billig, und es ist schrecklich für eine Frau, wenn sie die Lüge glaubt.«
»Du weißt, was diese fünf Tage für mich bedeutet haben«, sagte Peter Sacher rauh. Die Worte Yvonnes brannten in seiner Seele.
»Warum bist du nicht einfach gefahren?« Yvonne blieb im Schatten ihrer Staffelei. Ihr Gesicht war leer. »Einfach verschwinden, das ist doch so bequem. Wie viele Männer, die Paris genossen 'aben, sind plötzlich verschwunden? Wenn ich dann in die Rue de Sèvres gekommen wäre, um zu sehen, ob du vielleicht krank geworden bist, hätte mir der Concierge gesagt: ›Monsieur Pierre? Der ist weg! Ja, schon seit drei Tagen. Wohin? Nach Deutschland natürlich.‹ Dann 'ätte ich vielleicht geweint, wie viele Mädchen in Paris, eine ganze Nacht 'indurch, vielleicht auch nur eine Stunde, und wenn dann der Morgen wieder über die Dächer von Montmartre geglitten wäre und die Kuppel der Sacré-Cœur hätte in der Morgensonne geleuchtet, 'ätte ich gesagt: C'est la vie! Und ich 'ätte dich vergessen, wie so viele Mädchen in Paris einen Mann vergessen müssen, der am Morgen gegangen ist und nicht mehr wiederkommt. Ich 'ätte nur eine Erinnerung be'alten, ganz schwach. Aber es wäre ein Schnitt gewesen, der alles ablöst. Jetzt ist es ein Abschied geworden. Weißt du, wie schrecklich ein Abschied ist? Man sieht immer wieder die Augen beim letzten Kuß, von dem man weiß, daß er der letzte ist. Man 'ört immer wieder die Worte, die trösten sollen und keinen Trost 'aben, weil sie lügen. Man 'at immer das ›andere‹ in sich und kann es nicht abschütteln. Ein Abschied ist wie ein langsamer Mord.«
Peter Sacher erhob sich von der Couch. Langsam ging er zur Tür. Erst, als er die Klinke schon heruntergedrückt hatte, sah er noch einmal zurück. Yvonne stand im milchigen Mondlicht. In ihren Augen lag maßlose Traurigkeit.
»Ich bin mit einem Irrtum nach Paris gefahren, Yvonne«, sagte Peter Sacher leise.
Weitere Kostenlose Bücher