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Bitterzart

Bitterzart

Titel: Bitterzart Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabrielle Zevin
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wenn er fünfzig Jahre jünger wäre. Und so weiter. Und so fort.«
    »Das sind aber viele wichtige Wenns , Jacks.«
    »Ich will damit nur sagen, dass er sehr beeindruckt von dir war«, sagte er. »So wie ich.«
    Ich sagte, dass ich nun zur Schule müsste.
    Ich ging den Flur entlang und klopfte an der Tür meines Bruders. Er rief mich herein. »Annie, ich hab keine Zeit mehr! Hilf mir, eine Krawatte auszusuchen.«
    »Lass mal sehen!«, sagte ich.
    Er hielt mir eine rosafarbene und eine violette mit Blumenmuster hin.
    »Besser ohne Krawatte? Ich glaube nicht, dass es diese Art von Arbeit ist«, schlug ich vor.
    Leo nickte und legte die Krawatten aufs Bett.
    »Du kannst mich in der Schule anrufen, wenn irgendwas schiefgeht. Dann hole ich dich ab«, erinnerte ich ihn.
    »Ich muss nicht von meiner kleinen Schwester abgeholt werden!«
    »Sei nicht sauer, Leo. Das hab ich nicht so gemeint«, sagte ich. »Ich wollte dich nur daran erinnern, dass du nichts tun musst, womit du dich unwohl fühlst, auch wenn dich einer darum bittet. Es gibt immer andere Jobs.«
    »Ich bin spät dran!« Leo griff zu seiner Kuriertasche und hob sie hoch. Er gab mir einen Kuss auf den Kopf und auf beide Wangen. »Bis heute Abend. Hab dich lieb, Annie!«
    »Leo!«, rief ich. »Der eine Schuh ist nicht zugeschnürt!« Aber er hörte mich nicht mehr. Zumindest drehte er sich nicht um. Ich widerstand dem Drang, hinter ihm herzulaufen.
    Am Abend brachte Leo Blumen für Nana (gelbe Rosen) und eine Pizza für uns mit. Als er durch die Tür kam, wirkte er größer als am Morgen, und ich registrierte, dass beide Schuhe geschnürt waren. Ich konnte nicht umhin, mich zu fragen, ob ich mich nicht geirrt hatte, was seine Arbeit im Pool anging.
    »Wie war es?«, fragte ich, als wir uns alle zum Essen setzten.
    »Gut«, sagte er und beließ es dabei, was für meinen Bruder sehr ungewöhnlich war.

    Am Donnerstag sprachen Scarlet und ich für Macbeth vor. Die Proben fanden in Mr. Beerys Büro statt. Einer nach dem anderen musste hineingehen. Zuerst sagte man Mr. Beery, was man spielen würde, dann rezitierte man.
    Scarlet wollte natürlich Lady Macbeth spielen. »Es sei denn, Mr. Beery wäre bereit zu einer geschlechtsunabhängigen Rollenverteilung. Aber das bezweifle ich. Ich würde doch einen guten Macbeth abgeben, meinst du nicht?«
    »Das solltest du ihm sagen«, schlug ich vor. »Aber dann müsstest du dir wahrscheinlich die Haare abschneiden lassen.«
    »Das würde ich sogar tun«, sagte Scarlet. »Für Macbeth würde ich alles tun!«
    Scarlet ging als Erste hinein, danach war ich an der Reihe.
    Ich rezitierte ein bisschen von Lady Macduff. Sie hatte keine so große Rolle. In ihrer wichtigsten Szene spricht sie mit ihrem Kind, eine oder zwei Szenen später wird sie dann umgebracht, was sehr traurig rüberkommen soll. Sie muss »Mord!« schreien, wenn die Mörder auftauchen, was ich lustig und auch ganz befriedigend fand. Lieber wäre ich zwar eine Hexe gewesen, aber Scarlet meinte, Lady Macduff wäre die bessere Rolle für mich. (»Sie hat auf jeden Fall das bessere Kostüm«, hatte sie gesagt.)
    »Nicht schlecht«, meinte Mr. Beery, als ich fertig war. »Obwohl ich enttäuscht bin, dass Sie nicht auch für Lady Macbeth vorsprechen.«
    Ich zuckte mit den Schultern. »Ich fühle mich Lady Macduff mehr verbunden.«
    »Lesen Sie doch ein bisschen vor!«, beharrte Mr. Beery.
    »Lieber nicht«, erwiderte ich.
    »Ach, Anya, bitte! Es ist nicht unfair Ihrer Freundin gegenüber, wenn Sie versuchen, mir ein bisschen vorzulesen. Ich glaube, Ihre Geschichte könnte der Rolle ganz aufregende Perspektiven eröffnen.«
    Ich schüttelte den Kopf. »Ich habe absolut kein Interesse daran, Lady Macbeth zu spielen, Mr. Beery. Und Ihre Behauptung, meine ›Geschichte‹ würde ›ganz aufregende Perspektiven eröffnen‹, ist eine Beleidigung. Ich nehme an, Sie sagen das, weil ich Mörder gekannt habe. Aber in Wahrheit bin ich in Situationen gewesen, die genau der von Lady Mcduff glichen, nicht der von Lady Macbeth. Ich fühle mich Lady Macbeth’ Ehrgeiz nicht verbunden, mit nichts an ihrer Figur. Ich besitze keinen Ehrgeiz, Mr. Beery, höchstens den, die Highschool zu schaffen. Und wenn Sie mir die Rolle von Lady Macbeth anbieten würden, würde ich sie ablehnen. Das ist keine psychologische Retourkutsche von mir. Der einzige Grund, warum ich überhaupt für das Stück vorspreche, ist, dass ich meiner Freundin versprochen habe, ihr Gesellschaft zu leisten.«
    »Ms. Barber

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