Bitterzart
sagte er. »Aber lieber mit dir.« Er lächelte mich an, und seine blauen Augen wurden weich und schüchtern. Wäre ich ein anderes Mädchen in einem anderen Leben gewesen, hätte ich ihn vielleicht an Ort und Stelle geküsst.
»Und, Anya, was meinst du?«
»Nein«, erwiderte ich laut und deutlich.
»In Ordnung«, sagte er und setzte die Mütze wieder auf. »Nur damit ich es weiß: Liegt es am Tanz oder an mir?«
»Ist das wichtig?«, fragte ich.
»Ja, denn wenn du mich nicht magst, höre ich auf, dich zu belästigen«, sagte er. »Ich bin kein Typ, der sich rumtreibt, wo er nicht gewollt ist.«
Ich dachte darüber nach. Wenn ich wirklich ehrlich zu mir war, wollte ich nicht, dass er aufhörte, mich zu belästigen, und doch war es die einzig vernünftige Lösung. »Es liegt nicht an dir«, log ich. »Ich finde nur, so lange Arsley im Krankenhaus liegt und weil mein Privatleben so kompliziert ist, sollte ich im Moment besser mit niemandem irgendwohin gehen. Prioritäten, verstehst du?«
»Ich verstehe es, auch wenn es sich total schwachsinnig anhört«, sagte er. Dann ging er und achtete diesmal darauf, seine Mütze mitzunehmen.
In dem Moment mochte ich ihn mehr als je zuvor. Es imponierte mir, dass er deutliche Worte fand, wenn sich etwas schwachsinnig anhörte.
Eine Weile erlaubte ich mir, in Selbstmitleid zu schwelgen. Daddy hatte immer gesagt, das sinnloseste aller menschlichen Gefühle sei das Selbstmitleid.
Am Montag in Rechtsmedizin II war Win höflich zu mir, setzte sich aber beim Mittagessen nicht zu uns. Stattdessen aß er mit einigen der Jungs, die eigentlich noch keine Band waren. Scarlet fragte mich, ob etwas zwischen Win und mir vorgefallen sei, deshalb erzählte ich es ihr.
»Was stimmt eigentlich nicht mit dir?«, fragte sie. Sie klang überraschend wütend.
»Nichts«, sagte ich. »Vielleicht ist es einfach keine besonders gute Idee, direkt wieder einen Freund zu haben. Gable liegt immer noch im Krankenhaus, weißt du?«
»Was hat Gable denn damit zu tun? Du hast schamlos mit Win geflirtet, seit die Schule begonnen hat!«
»Das stimmt nicht.«
Scarlet verdrehte die Augen. »Ich habe – absichtlich und äußerst selbstlos, wenn ich das hinzufügen darf – Win aufgegeben, weil ich dachte, meine allerbeste Freundin wäre in ihn verliebt.«
»Die Zeit passt einfach nicht, Scarlet.«
Sie schüttelte den Kopf. »Ich verstehe dich nicht.« Sie konzentrierte sich auf ihre Lasagne (ja, schon wieder Lasagne!), und ich tat es ihr nach.
»Was ist überhaupt so toll daran, mit jemandem zusammen zu sein?«, wollte ich von ihr wissen. »Such dir doch selbst einen Freund, wenn du das so wichtig findest.«
»Das war gemein«, sagte sie. Vorwurfsvoll sah sie mich an, und ich bedauerte auf der Stelle meinen zweiten Satz. Auch wenn Scarlet gut aussah und sehr loyal war, hielt man sie doch für etwas sonderbar, weshalb sie selten von einem Jungen eingeladen wurde. Als Nana noch klar im Kopf war, hatte sie immer gesagt, Scarlet gehöre zu den Mädchen, die erst richtig geschätzt würden, wenn sie älter waren.
»Tut mir leid«, sagte ich. »Scarlet, es tut mir leid. Das meinte ich nicht so.«
Sie antwortete nicht, sondern nahm ihr Tablett und ließ mich allein zurück.
Bei der Theaterprobe am Nachmittag sprach sie nicht mit mir, und am Ende wartete sie auch nicht auf mich. Ich konnte es nicht ertragen, sie verletzt zu haben, deshalb ging ich auf dem Rückweg von der Schule bei ihr zu Hause vorbei, um mich noch einmal zu entschuldigen. Sie wohnte in der obersten Etage eines sechsstöckigen Hauses ohne Fahrstuhl. Es war ganz schön anstrengend, dort hochzusteigen, weshalb wir in der Regel bei mir waren, wo der Aufzug meistens zuverlässig funktionierte.
»Entschuldigung angenommen«, sagte sie. »Als ich im Gang war, dachte ich, ich hätte vielleicht überreagiert, aber da war ich schon weggedampft, und es war mir peinlich, wieder zurückzurauschen. Im Übrigen finde ich nicht, dass man unbedingt ein Pärchen sein muss. Du magst Win ganz offensichtlich, und er mag dich. So einfach ist das oder sollte es jedenfalls sein.«
Ich sah Scarlet an. »Nichts ist einfach.«
»Dann erklär es mir«, sagte sie. »Bitte erklär es mir!«
»In Ordnung«, sagte ich. »Aber du musst mir versprechen, niemandem davon zu erzählen. Nicht Natty. Und ganz besonders nicht Win.« Scarlet versprach es, und so gab ich wieder, was Charles Delacroix zu mir gesagt hatte: dass kein Sohn von ihm mit einem Mädchen wie mir
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