Bitterzart
war ein guter Tänzer, und das sagte ich ihm auch. Er erwiderte, sein Vater hätte ihn Tanzstunden nehmen lassen, als er jung war. »Als Jugendlicher fand ich, es sei eine unglaubliche Zeitverschwendung«, sagte er, »aber jetzt bin ich ihm dankbar dafür.«
»Meinst du, weil es den Frauen gefällt?«, fragte ich.
Jemand klopfte mir auf die Schulter. Ich rechnete mit Win, doch es war mein Cousin Jacks. »Darf ich dich ablösen?«, fragte er Yuji.
»Das muss Anya entscheiden«, erwiderte Yuji.
Jacks hatte ein rotes Gesicht, seine Augen waren außerordentlich hell. Ich hoffte sehr, dass er nicht betrunken war. Dennoch sagte ich zu, weil ich das Gefühl hatte, wenn ich ablehnte, würde mein Cousin eine Szene machen. »Ja, ist gut«, sagte ich.
Yuji ging, Jacks nahm meine Hand. Seine Handfläche war feucht, fast schmierig. »Weißt du eigentlich, mit wem du gerade getanzt hast?«, fragte Jacks.
»Ja, sicher«, entgegnete ich. »Mit Yuji Ono. Den kenne ich seit Jahren.«
»Na gut, weißt du denn auch, was über ihn erzählt wird?«, wollte Jacks wissen.
Ich zuckte mit den Schultern.
»Es gibt Menschen, die glauben, dass er derjenige war, der hinter der Vergiftung der Balanchine-Schokolade steckt.«
Ich dachte darüber nach. »Warum sollte er das tun?«
Jacks verdrehte die Augen. »Du bist ein kluges Kind, Anya. Denk doch mal nach!«
»Du wolltest doch unbedingt mit mir tanzen. Warum sagst du es mir nicht?«
»Der Junior – so wird Yuji Ono genannt, um ihn von Yuji Ono, dem Senior, zu unterscheiden –, der Junior will sich unbedingt beweisen. Alle glauben, dass die Balanchine-Dynastie schwach ist. Wie könnte der Junior mehr Eindruck hinterlassen, als wenn er das Geschäft der Balanchines in Nordamerika zerstört?«
Ich nickte. »Wenn das alle glauben, warum ist er dann zur Hochzeit eingeladen worden?«
»Er hat natürlich behauptet, dass er mit der Kontaminierung nichts zu tun hat. Seine Anwesenheit hier ist eine symbolische Geste, die ihm zeigt, dass wir ihm das glauben. Ich muss es dir aber sagen, Anya: Es macht nicht gerade einen guten Eindruck, wenn du mit ihm tanzt.«
Zuerst lachte ich, weil ich ihm zeigen wollte, dass mir seine Meinung egal war. Dann fragte ich: »Wieso?«
»Die anderen werden glauben, dass du irgendein Bündnis mit ihm geschmiedet hast.«
»Wer sind denn die anderen , Jacks? Dieselben Menschen, die sich schützend vor mich gestellt haben, als ich vor wenigen Monaten ins Gefängnis gesteckt wurde? Sag ihnen, dass ich schon seit Jahren mit Yuji Ono befreundet bin und tanze, mit wem ich will.«
»Du machst dich zum Gespött der Leute«, sagte Jacks. »Alle beobachten dich. Du denkst vielleicht, du bist unwichtig, aber du bist immer noch Leonyd Balanchines ältestes Kind, und du bedeutest diesen Menschen hier etwas.«
»Das ist ja wohl total unverschämt! Was ist mit meinem Bruder Leo? Zählt der etwa nicht? Du bist doch derjenige, der mir immer sagt, ich solle ihn nicht unterschätzen.«
»Tut mir leid, Anya. So hab ich das nicht gemeint. Ich –«
In dem Moment tippte mir wieder jemand auf die Schulter: Diesmal wollte Win Jacks ablösen, Gott sei Dank.
Ich ließ Jacks stehen und begab mich dankbar in Wins Arme. Das Lied war vorbei, ein langsameres hatte begonnen. Ich hatte es nicht mal gemerkt, weil mich der Streit mit Jacks so in Anspruch genommen hatte.
»Ich wusste gar nicht, dass du gerne tanzt«, sagte Win.
»Tu ich auch nicht.« Ich ärgerte mich über Jacks’ Bemerkungen und war nicht zum Plaudern aufgelegt.
»Du bist sehr beliebt«, fuhr Win fort. »Als du mit dem schwarzhaarigen Typen getanzt hast, hab ich mich gefragt, ob ich eifersüchtig werden muss.«
»Ich hasse diese Leute«, sagte ich und barg den Kopf an Wins Brust. Seine Jacke roch nach Zigaretten. Win rauchte nicht (Es rauchte fast niemand mehr, weil der Tabakanbau so viel Wasser verschlang), aber sein Jackett hatte wohl mal einem Raucher gehört. Von dem Geruch wurde mir leicht übel, aber ich mochte ihn dennoch irgendwie. »Ich hasse es, in diese Sachen reingezogen zu werden. Wenn ich doch nie geboren worden wäre! Oder wenn ich doch als jemand anders geboren worden wäre!«
»Sag so was nicht!«, mahnte Win. »Ich bin froh, dass du geboren wurdest.«
»Und meine Füße tun weh«, stöhnte ich.
Win lachte zärtlich. »Soll ich dich tragen?«
»Nein, sorg nur dafür, dass ich nicht mehr tanzen muss.« Das Stück war vorbei, wir gingen zurück an den Tisch. Yuji Ono war nicht mehr da, jemand anders
Weitere Kostenlose Bücher