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Bitterzart

Bitterzart

Titel: Bitterzart Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabrielle Zevin
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dreht sich nur darum, uns, insbesondere dich, vor so einem Leben zu schützen.«
    Natty nickte, doch ihr Blick blieb zweifelnd.
    Ich packte sie ins Bett. Als ich neben sie schlüpfen wollte, fiel mir ein, dass ich gar keinen Schlafanzug mehr trug. Ich würde in diesem mottenzerfressenen Flanell-Bademantel schlafen müssen. Hoffentlich würde ich keine Läuse oder etwas ähnlich Schreckliches bekommen. Andererseits war das vielleicht eine gute Lektion, damit ich in Zukunft meinen Schlafanzug anbehielt.
    Ausnahmsweise konnte ich diesmal nicht einschlafen. Ich lag wach und dachte über meine Schwester nach, überlegte, ob ich in die Wege leiten sollte, dass sie professionelle Hilfe bekam. Dann dachte ich an das, was Win und ich getan hatten (beziehungsweise hatten tun wollen), kurz bevor Natty den Albtraum bekam. Ich hielt mich zwar für eine gute Katholikin, war aber nicht besonders spirituell. Dennoch konnte ich nicht umhin, mich zu fragen, ob Nattys Schrei irgendein Zeichen für mich gewesen war. Dass mir Gott oder vielleicht meine toten Eltern sagten, ich solle aufhören. Oder las ich da zu viel hinein? Schließlich hatte Natty regelmäßig schlimme Träume, sie mussten nicht unbedingt etwas zu bedeuten haben. Und wer sagte überhaupt, dass ich dem Ganzen nicht doch noch selbst den Riegel vorgeschoben hätte? Win und ich waren schon öfter so nah dran gewesen, und ich hatte jedes Mal auf die Bremse getreten, ohne dass eine höhere Macht hatte eingreifen müssen.
    Meine Haut juckte vom Bademantel. Eine Weile versuchte ich, das Jucken zu ignorieren, dann konnte ich mich nicht länger zusammenreißen. Ich gab nach und kratzte mich an der Wade, bis es blutete.
    Ein vorsichtiges Klopfen an der Tür: Win. Er brachte mir meinen Schlafanzug, den er zusammengelegt hatte. In der Hinsicht war er ein Gentleman. Gable hätte mich mit einem zerknitterten Knäuel beworfen.
    Um Natty nicht zu wecken, ging ich zu ihm auf den Gang. »Danke«, sagte ich. »Es tut mir leid.«
    Win schüttelte den Kopf.
    »Nein, es tut mir wirklich leid. Ich will dir das nicht ständig antun. Ich will …« Ich schämte mich, den nächsten Satz laut auszusprechen. »Mein Körper und mein Kopf sind nicht immer ein Meinung.«
    Win küsste mich auf die Wange. »Also, normalerweise wäre das total nervig, aber zu deinem Glück bin ich verrückt nach dir.«
    Noch, dachte ich.
    »Was ist? Du runzelst die Stirn. Was geht dir durch den Kopf?«
    »Noch«, sagte ich laut. »Du bist noch verrückt nach mir.«
    »Für alle Zeit«, beharrte er. »Ehrlich.«
    Win war wahrscheinlich der netteste Typ, den ich je kennengelernt hatte, und es war lieb von ihm, so was zu sagen. Ich glaubte ihm zwar nicht, aber wusste, dass er selbst davon überzeugt war. Ich wollte seine Gefühle nicht verletzen und versuchte, mir die Zweifel nicht ansehen zu lassen.
    Ich küsste ihn auf die Lippen, achtete aber darauf, die Zunge hübsch in meinem Mund zu lassen. Dann schloss ich die Tür und ging in das Zimmer, das ich mir mit Natty teilte, zog den Bademantel aus und schlüpfte in den Schlafanzug. Neben meiner Schwester stieg ich ins Bett. Sie kuschelte sich an mich und legte mir den Arm um die Taille.
    »Hab ich Win und dich bei irgendwas unterbrochen?«, flüsterte sie.
    »War nicht so wichtig«, sagte ich. Und beschloss, dass es genauso war.
    »Ich mag ihn gern«, wisperte Natty verträumt. »Wenn ich mal einen Freund habe, was ich eigentlich nicht glaube, dann soll er genau so sein wie Win.«
    »Das freut mich«, gab ich zurück. »Und um das festzuhalten, Natty. Ich bin mir ziemlich sicher, dass du irgendwann eine Million Freunde hast.«
    »Eine Million?«, fragte sie.
    »Na ja, so viele, wie du willst.«
    »Wäre schon mit einem zufrieden«, murmelte sie. »Besonders wenn er so nett ist wie deiner.«

XV.
    Wir trauern wieder, und ich lerne die Bedeutung von intransigent
    Erst am Sonntag nach dem Mittagessen kehrten wir in die Stadt zurück. Win ging vom Bahnhof direkt nach Hause – seine Wohnung war nicht weit vom Grand Central entfernt –, und Leo, Natty und ich machten uns auf den Heimweg. Ich konnte es nicht erwarten. Ich war müde und hungrig und hatte einen Berg Hausarbeiten für die Schule zu erledigen. Außerdem werde ich immer unruhig, wenn ich unterwegs bin.
    Da es ungewöhnlich warm für Februar war, wollten Leo und Natty zu Fuß gehen, statt den Bus zu nehmen. Ich wollte unsere Rückkehr mit Hilfe des Busses beschleunigen, wurde aber überstimmt.
    Wir hatten fast die

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