Bitterzart
Schluss machen.
Wir gingen ins Wohnzimmer. Win setzte sich auf das größere Sofa, das mit braunem Samt gepolstert war. Ich kuschelte mich an ihn, lehnte den Kopf an seine Brust. Er fuhr mir mit den Fingern durchs Haar, was mich störte, doch ich sagte nichts. Ich habe Locken, die schnell verfilzen, weswegen ich es nicht gerne habe, wenn man mir in den Haaren herumwühlt. Ich war sogar froh über meinen Ärger, fand ihn irgendwie ermutigend. Siehst du, dachte ich, er ist doch nicht perfekt. Wenn ich mir immer wieder diese eine störende Eigenschaft von Win in Erinnerung rief, könnte ich vielleicht doch Schluss machen.
Ich setzte mich auf. Dann erhob ich mich und ging zu dem roten Sessel.
»Was ist?«, fragte er.
Ich wusste, dass ich ihm eigentlich erzählen sollte, es würde mit uns nicht funktionieren, wir würden nicht zusammenpassen, es gebe für so etwas nicht immer einen Grund. Leider tat ich das nicht. »Win«, sagte ich, »du kannst jetzt nicht mein Freund sein.« Ich schilderte ihm die Lage, wie ich es hier schon getan habe: Ich würde ihn wirklich sehr, sehr gerne mögen (Man beachte: Ich benutzte nicht das Wort lieben !), doch meine Familie sei wichtiger als meine Gefühle für ihn, und da meine Großmutter jetzt tot sei, könne ich nicht riskieren, dass sich sein Vater in mein Leben einmischte und so weiter.
Er redete es mir wieder aus. Oder vielleicht ließ ich es mir auch ausreden. Vielleicht wollte ich es mir ausreden lassen. Er sagte, er würde mich lieben, ich würde ihn lieben, und das sei das Wichtigste. Ich könnte diese Entscheidung nicht ganz allein treffen. Sein Vater würde sich nicht um mich kümmern, er hätte ihn im Griff, falls sein Vater jemals versuchte, sich in meine Familie einzumischen. (Ich wusste schon damals, dass das eine lächerliche Lüge war – ich meine, ich hatte Charles Delacroix immerhin kennengelernt.) Win sagte mir, Liebe sei das Einzige, das in dieser Welt wirklich zähle. (Noch eine Lüge.)
Doch ich war geschwächt, und Lügen können furchtbar überzeugend sein, wenn man den Menschen liebt, der sie ausspricht. Die Wahrheit war: In dem Moment konnte ich es nicht ertragen, Win auch noch zu verlieren.
Wir hörten, dass sich die Wohnungstür öffnete. Es war erst ein Uhr, vor mindestens einer weiteren Stunde hatte ich niemanden zurückerwartet. Ich ging zum Eingang. Leo stürzte an mir vorbei, lief direkt in sein Zimmer und schlug die Tür hinter sich zu. Imogen, Natty und Scarlet standen im Flur und zogen sich die Mäntel aus.
»Was ist passiert?«, fragte ich und bekam Schuldgefühle, dass ich meinen windpockengeplagten Körper nicht zur Totenwache geschleppt hatte. »Warum seid ihr so früh zurück? Was ist mit Leo?«
»Wissen wir nicht genau«, antwortete Scarlet. »Wir waren alle zusammen, aber dann ging Leo mit einigen Männern weg, mit denen er im Pool arbeitet. Ich dachte, das wäre in Ordnung. Aber ehe ich mich versah, gab es lautes Geschrei, und Leo hatte ein blaues Auge …«
»Moment mal«, sagte ich. »Leo hat ein blaues Auge?«
»Ich lege besser etwas drauf.« Imogen entschuldigte sich und ging in die Küche.
»Ja«, fuhr Scarlet fort. »Ich habe nicht selbst gesehen, wie es passiert ist – keiner von uns –, und er will nicht sagen, wer es war. Und dann sagte Yuji zu uns, wir sollten in seinen Wagen steigen.«
»Yuji?«, fragte ich. »Yuji Ono? Der war auch da?«
»Er ist hier «, erklärte Natty.
Da bemerkte ich Yuji Ono, der in einem schwarzen Mantel in der Tür stand.
»Ich war noch in den Staaten, deshalb bin ich zur Totenwache gegangen, um meinen Respekt zu erweisen«, sagte er.
»Ich …« Ich zog den Morgenmantel enger um mich und hätte mir am liebsten einen Schleier über den Kopf gezogen. »Ich hoffe, du hattest schon Windpocken.«
»Ja«, sagte er. »Ich wurde vorgewarnt.«
Win stand hinter mir. Langsam wurde es eng im Flur. Er hielt Yuji die Hand hin. »Ich bin Win.«
»Er ist Annies Freund«, fügte Natty hilfsbereit hinzu.
Yuji nickte. »Ich habe dich letztes Wochenende auf der Hochzeit gesehen. Freut mich.«
»Gehen wir ins Wohnzimmer«, schlug ich vor.
»Nein«, sagte Yuji und verbeugte sich leicht. »Ich muss gehen. Aber vielleicht hast du einen Moment Zeit für ein Gespräch unter vier Augen, bevor ich aufbrechen muss. Ich hatte gehofft, dich bei der Totenwache zu sehen, ich wusste nichts von deiner Erkrankung.«
»Ja, sicher. Ich …«
»Annie!«, rief Imogen von weiter hinten. »Kann ich dich mal kurz
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