BKA - Die Jaeger des Boesen
sich sicher, dass es mindestens zwei Attentäter gegeben haben muss. Doch wer von den beiden die tödlichen Schüsse abgab, wissen sie nicht, denn Grams ist tot, und nach der oder dem anderen wird nach wie vor gefahndet. Sie mutmaßen zwar, dass die von ihnen Gesuchte sich ganz in ihrer Nähe befindet. Vieles spricht dafür, dass die heute in einem Frankfurter Gefängnis einsitzende Birgit Hogefeld, die in Bad Kleinen ihren Partner begleitete, auch bei der Ermordung Rohwedders an seiner Seite war. Die Beobachtungen der Rohwedder-Nachbarin und des Anwalts – die eine von einem jungen Paar berichtend, der andere von einer jungen Frau – legen diesen Verdacht nahe. Und es gibt noch ein weiteres Indiz: Hergard Rohwedder sah am Nachmittag des Ostermontags im Vorhof der Anwaltskanzlei einen dort geparkten Jeep, in dem ein junges Paar saß und sich unterhielt. Es konnte sich nicht um Mandanten des Anwalts handeln. Es war schließlich ein Feiertag, es war Ostern, das Büro deshalb geschlossen. Sie ist überzeugt davon, dass es sich bei dem Pärchen im Jeep um Birgit Hogefeld und Wolfgang Grams gehandelt hat. Aber beweisen lässt sich das nicht.
Selbstverständlich ist der ehemaligen Richterin bewusst, dass ihre Beobachtung vor Gericht wenig hilft. »Ich bin zwar Juristin, aber ich habe nicht das Gerechtigkeitssyndrom, den Wunsch, dass unbedingt herauskommen muss, wer es war, der auf uns geschossen hat. Ich leide nicht darunter, dass ich es nicht weiß oder dass die es nicht wissen, die dafür zuständig sind.« Deshalb hat sie auch keinen Wert darauf gelegt, bei jeder neuen Spur in den Jahren
danach immer sogleich informiert zu werden. Sondern nur dann, wenn die Fahnder tatsächlich sicher seien, am Ziel zu sein. Jeder Anruf versetzte sie neuerlich in eine entsetzliche Unruhe, und sie wollte ja, soweit das überhaupt geht, wieder ein normales Leben leben.
Hergard Rohwedder hat ihr schweres Trauma, verursacht durch den Mord an ihrem Mann, verursacht durch die eigene Verletzung, die psychischen und die physischen Folgen jener Nacht, nach schlaflosen Nächten über viele Jahre hinweg als Schicksal zu akzeptieren gelernt. Anfangs waren nur Depressionen und Angst ihre Begleiter. Sie bewegte sich zwischen Operationen und Therapien, zwischen Himmel und Hölle, ohne festen Boden unter den Füßen. Erst allmählich fand sie dank eines Therapeuten, der sie lehrte, ihr Schicksal anzunehmen, und dank der Liebe ihrer erwachsenen Kinder wieder festen Halt.
Die Fenster im Erdgeschoss ihres Hauses waren damals mit schusssicheren Scheiben verglast worden. Die im ersten Stock allerdings nicht. Hergard Rohwedder beklagt, dass sich die Beamten vom Landeskriminalamt gar nicht interessiert hätten für das obere Stockwerk: »Da mein Mann die ganze Woche über in Berlin war, habe ich die Gespräche über die Sicherung des Hauses geführt. Die obere Etage wurde bei den Besprechungen weder besichtigt noch in Gegenwart des für den Umbau zuständigen Architekten von Hoesch in die Gespräche überhaupt einbezogen. Weshalb hätten wir den Einbau unten billigen, einen oben aber ablehnen sollen?« Sie habe genau das gemacht, was die ihr rieten. Die waren die Spezialisten, sie doch nicht. Oben hätte sie nur den dunkelblauen Chintzvorhang vorziehen müssen, dann hätten die von den Schrebergärten aus gar nichts sehen können, wer im Zimmer war in jener Nacht.
In jener Nacht: Neben dem leeren Koffer auf seinem Bett hat Rohwedder ausgebreitet, was er am nächsten Morgen nach Berlin mitnehmen will, Akten hauptsächlich, auch Hemden und Wäsche. Er trägt ein langes weißes Nachthemd. Über den Flur, in dem sich Regale voller Bücher bis zur Decke strecken, geht er in
sein Arbeitszimmer. Er schaltet die Deckenlampe an. In dem Moment fallen Schüsse.
Man muss kein ausgebildeter Scharfschütze sein, um aus dreiundsechzig Meter Entfernung ein Ziel vor beleuchtetem Hintergrund, zumal einen Hünen wie Rohwedder, zu treffen, dafür braucht es keine spezielle Ausbildung. Jeder, der bei der Bundeswehr mal mit einem G1-Gewehr geübt hat, könnte ein Ziel treffen, wie Rohwedder es bot. Vielleicht hat sein Mörder nicht einmal ein Zielfernrohr benutzt. Ein Fernglas wohl, denn das finden die Beamten neben einem schwarzen Plastikstuhl, neben einem blauen Handtuch – jenem, auf dem sich auch die Haare fanden, die zu Wolfgang Grams führen sollten –, neben Patronenhülsen und Spuren eines Motorradreifens in einem der Gärten in der Schrebergartenkolonie, die
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