BKA - Die Jaeger des Boesen
Oberschichteninternats wurden von ihren Lehrern missbraucht.
Als erst einmal die Büchse der Pandora geöffnet war, kroch auch aus anderen Ecken widerliches Gewürm hervor. Es wurde sichtbar. Es konnte sich nicht mehr verstecken wie bisher in evangelischen Kinderheimen, wie einst in den besonders brutalen Erziehungsheimen der DDR oder in Sportvereinen. Dass sich Pädophile im Netz verabreden, gemeinsam in Vereine einzutreten und
sich dort freiwillig für die Jugendarbeit zu melden, hätte man sich zuvor nicht vorstellen können. Jetzt schon.
Am härtesten trafen die Enthüllungen aber die katholische Kirche, weil ihr Anspruch, inmitten einer enttabuisierten Welt die letzte moralische Bastion zu sein, als schamlose, unverschämte Lüge entlarvt wurde. In der Wochenzeitung »Freitag« schrieb Volkmar Sigusch: »Geradezu makaber ist es, wenn kindliche Seelen von Seelsorgern zerstört werden. Der Zölibat produziert zwar keine Pädophilen und Pädosexuellen, er lockt sie aber an, ebenso wie sexuell Unreife, nicht zu sich gekommene Perverse und Homosexuelle […].« Noch abstoßender als »verwirrte, sexuell unreife Priester« aber sind nach Siguschs Meinung »jene großartigen Reformpädagogen, die Kinder traumatisierten«, aber von ihren ebenso großartigen Gefährten durch »obszönes Vernebeln oder kräftiges Verleugnen« gedeckt wurden. Manfred Paulus sieht »gute Gründe für die Annahme, dass das Delikt des sexuellen Missbrauchs von Kindern in der Evangelischen Kirche, bei den Zeugen Jehovas und in anderen Religionsgemeinschaften sowie in staatlichen und nicht staatlichen Organisationen (Sportvereinen, Jugendfreizeitheimen), die sich Kinder annehmen, nicht weniger häufig ist als in katholischen Einrichtungen«.
Sexueller Missbrauch in Familien der Oberschicht wurde und wird unter den Teppich liebevoll gemeinter Zuwendung gekehrt oder überhöht als Erziehungsmaßnahme zur Bildung freier Geister verteidigt. Was weitaus widerlicher ist als die alltägliche, oft berserkerhafte Gewalt der Unterschicht. Die einen wissen, was sie den Seelen der Kinder antun, die anderen tun es, ohne zu wissen, dass Kinder eine Seele haben. Da wird nicht nur totgeschwiegen, sondern im Zweifelsfall gleich totgeschlagen.
Die Hamburger Universitätsklinik Eppendorf hat für solche Fälle ein Kinder-Kompetenz-Zentrum eingerichtet. Es ist an sieben Tagen der Woche rund um die Uhr besetzt. Bei Verdacht auf Misshandlung, Vernachlässigung und/oder sexuellen Missbrauch werden seine Mitarbeiter aktiv. Ein bundesweit einmaliges Projekt, inzwischen von der Stadt Hamburg fest im Etat eingeplant.
Möglicherweise betroffene Kinder werden ohne bürokratische Hindernisse rechtsmedizinisch untersucht, doch auch hier wird »nur in Extremfällen die Polizei eingeschaltet« (Seifert), und zwar immer nur dann, wenn sich alle Beteiligten einig sind. Zu den Beteiligten gehören allerdings nie die Eltern, vor allem nicht bei Verdachtsfällen auf sexuellen Missbrauch, sondern Ärzte, Sozialarbeiter, Jugendamt.
Durch intensive Öffentlichkeitsarbeit hat »Dunkelziffer« nicht nur die Politik und die Medien problembewusster gemacht. Inzwischen wissen auch kindliche Opfer, wohin sie sich wenden können, falls sie das Gefühl haben, belästigt zu werden, oder falls sie schon missbraucht wurden. So stand eines Vormittags in der »Dunkelziffer«-Beratungsstelle, weit entfernt von den schicken Stadtteilen um die Alster oder an der Elbe, eine Elfjährige in der Tür. Ihre Mutter hatte sie angekündigt, war aber selbst nicht mitgekommen. Sie sei, sagte selbstsicher das Mädchen, deshalb hier, weil ein vierzehnjähriger Mitschüler sie belästigt hatte. Sie habe ihm einen blasen müssen, erklärte sie lakonisch und nannte das, was ihr zugestoßen war, unverblümt beim Namen. Darüber wolle sie mit einer Beraterin reden, eine Therapie allerdings brauche sie nicht. Der Junge, dem sie zu Diensten sein musste, sei von der Schule geflogen, das reiche ihr als Bestrafung. Ein gleichaltriger Klassenkamerad wartete in einem Vorraum, bis sie der Beraterin ihr Erlebnis geschildert hatte. Danach begleitet er sie zurück nach Hause. Kein Gedanke bei ihr, wegen des Vorfalls die Schule zu wechseln, etwa weil es ihr peinlich sein könnte, dass ein paar Idioten sie hänselten. Sie wollte nur wissen, wie sie denen am besten Kontra geben konnte.
Über so viel Stärke freuen sich die Mitarbeiter von »Dunkelziffer«, weil sie bei ihren Gruppensitzungen, in denen sie sich gegenseitig
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