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Black Bottom

Black Bottom

Titel: Black Bottom Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Keune
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Kacke hauen, ja? Haben Sie ein unbefriedigtes Geltungsbedürfnis?«, stichelte Sándor.
    Belfort schnaubte verächtlich. Für Lehmann schien Polizeiarbeit aus dem Paktieren mit Verdächtigen, dem Beschlagnahmen von Schnapslieferungen und dem Verbrüdern mit dem kriminellen Musiker- und Nachtklubgesindel zu bestehen; er selbst nahm seine Aufgabe ernst – und bediente sich dazu der neuesten tech nischen Methoden, die er bekommen konnte. Ernst Gennats Mordbereitschaftswagen gehörte zweifellos dazu. Spurensicherung hatte der »Dicke von der Mordkommission« zu einer Religion erklärt; kleinste Krümelchen, Fingerabdrücke und Kratzer mussten aufgespürt, vermessen und fotografiert werden. Alles, was man dazu brauchte, hatte das Mordauto – eine umgebaute, 50 PS starke Mercedes-Limousine – an Bord. »Aufklappbare Stenotypistin, aufblasbares Kriminalbüro und ein Bordkühlschrank für die Leichenobduktion«, so lästerten sie in den anderen Inspektionen der Abteilung IV über »die A«, die Inspektion für Mord und Körperverletzungen – aber die drei Mordkommissionen hatten das impo sante, sechssitzige Gefährt in regem Gebrauch, und die Aufklärungsrate für Morde war in den letzten Jahren deutlich über neunzig Prozent gestiegen. Gennat selbst arbeitete sich unbeirrt auf seinen 300. Mordfall zu, und natürlich war es für ihn, Belfort, als ehrgeizigen Neuling unabdingbar, den großen Meister endlich selbst kennenzulernen.
    Sándor Lehmann, dessen Lebensgeister allmählich wieder erwachten, hatte den Kollegen auf dem Weg die Treppe hinunter überholt und eilte nun selbst im ersten Stock voraus. Gennats Büro lag am Ende eines langen Ganges, dessen an die zwanzig schmalen, hohen Fenster Richtung Westen gingen und so staubüberzogen waren, dass der Blick auf die Dircksenstraße mit der dahinterliegenden Stadtbahn erschwert war. Im Zweiminutentakt rumpelten draußen die Züge vorbei; Sándor erahnte im Vorbeigehen das Gedränge monströser schwarzer Dampflokomotiven mit den dunkelgrünen und dunkelblauen Waggons aus Moskau und Paris; lehmverkrusteter Güterzüge voller Backsteine oder Kies aus Rathenow oder der Uckermark und der S-Bahn mit den quietschenden, schlingernden, immer überfüllten Wagen. Die Signalpfiffe vom Bahnhof Alexanderplatz waren bis hierher zu hören, wenn nicht gerade wieder ein Zug vorbeidonnerte und das ganze Gebäude bis in die Fundamente erzittern ließ.
    Â»Wie hält der Dicke es hier aus?«, brüllte Belfort gegen das Inferno an, aber da hatten sie schon das Gangende erreicht, und Lehmann hielt dem Kollegen mit einem ironischen Grinsen die Tür zu Gennats Vorzimmer auf. Belfort würde gleich selbst sehen, wie der Dicke es aushielt. Vielleicht erwartete er einen Brigadegeneral; er würde sich wundern.
    Gertrud Steiner, Gennats Vorzimmerdame, schien gerade beim Chef drin zu sein, und so durchquerten die beiden Kommissare ohne Zögern die karg eingerichtete Schreibstube und standen einen Augenblick später in Gennats Allerheiligstem – einem Raum, der hier im nüchternen Bürobau am Alexanderplatz so ungewöhnlich war – der eigentlich überall auf der Welt als ungewöhnlich bezeichnet worden wäre –, dass Belfort einen erstaunten Ausruf nicht unterdrücken konnte.
    Â»Du liebe Güte!«
    An einem Schreibtisch, dessen Holzplatte unter der Last von Papieren, Behältern und Gegenständen aller Art kaum noch zu sehen war, saß oder besser: ruhte Ernst Gennat über einer mächtigen Kuchenplatte, und seine Sekretärin, Fräulein Steiner, hockte neben ihm auf der gepolsterten Armlehne eines überdimensionalen Bürosessels und hatte dem massigen Mann offenbar eben ein Stück Kuchen in den Mund geschoben.
    Der Dicke vom Alexanderplatz – und jetzt konnte Belfort sehen, dass es sich um keinen Spitznamen handelte, sondern um eine schlichte Tatsachenbeschreibung, denn der Chef der Mordkommission mochte an die drei Zentner wiegen – schien von der unangekündigten Störung keineswegs in Verlegenheit gebracht zu sein, denn er drehte den Kopf mit belustigten, intelligenten Augen zu den beiden Eintretenden und begrüßte sie mit einem mit vollem Mund hervorgebrachten »Guten Morgen«.
    Sándor Lehmann war schon Dutzende Male bei Gennat gewesen und hatte sich an das schlecht beleuchtete Kuriositätenkabinett

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