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Black Bottom

Black Bottom

Titel: Black Bottom Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Keune
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gewöhnt, das der Mann hier bewohnte; für Belfort schien die wüste Sammlung aus Trophäen, wissenschaftlichen Versuchsanordnungen und Unmengen Papier ein echter Schock zu sein.
    Auf Bretter geschraubte, zur Hälfte durchgesägte Handfeuerwaffen hingen hier an der Wand; säuberlich gerahmte Bilder brutal verstümmelter Leichen, akribisch handschriftlich kommentiert, und ein fleckiger und mit Notizen und Stecknadeleinstichen übersäter Pharus-Stadtplan gesellten sich dazu. Auf einem Regal stand – neben ein paar staubigen, fast leeren Likörflaschen – ein präparierter, echter Frauenkopf, von einem Mordopfer, mumifiziert und ausgestopft.
    Gennat hatte Sándor nachlässig zugewinkt und den Neuling an seiner Seite einer kritischen Inaugenscheinnahme unterzogen. Er lächelte gutmütig; eine Mimik, die sein ganzes Gesicht in wellenförmige, ausufernde Ringfalten legte wie das Antlitz eines freundlichen Buddhas.
    Â»Erstaunt, der Herr Kollege? Haben Sie noch nie den Arbeitsplatz eines Polizisten gesehen?«
    Belfort stand bei der Stimme des Vorgesetzten unwillkürlich stramm und reckte die Nase in die Luft; Lehmann war sich nicht sicher, ob der Dicke mit solchen militärischen Ehrbezeugungen viel anfangen konnte.
    Â»Natürlich, Chef. Unser eigenes Büro oben im Dritten kenne ich seit zwei Wochen, und im Stockwerk drüber war ich mal im Büro von Isi…, von Herrn Doktor Weiß.«
    Gennats lächelndes Gesicht hatte sich einen Sekundenbruchteil verändert, eine besorgte Schattierung, die jetzt wieder abebbte, sich verlief. Isidor … das war der Spitzname des Vizepolizeipräsidenten Bernhard Weiß, allerdings ein Spitzname, den er nicht von Kollegen erhalten hatte und den die Kollegen auch nicht benutzten. Denn Bernhard Weiß – der unter einer ganzen Reihe von Polizeipräsidenten den Vize gegeben hatte und in den letzten, turbulenten Jahren mit Beharrlichkeit und Zielstrebigkeit die Kriminalpolizei erst zu dem aufgebaut hatte, was sie heute war –, Bernhard Weiß war Jude. Und Juden hatten es im Polizeidienst zunehmend schwer, dafür sorgten die Nationalsozialisten. Magnus Heimannsberg, der Leiter der Schutzpolizei, war als »Judenknecht« ständigen Anschuldigungen und Verhöhnungen durch den gerade wieder verbotenen
Angriff
und andere Propagandablätter der Nazis ausgesetzt – aber Bernhard Weiß war das vorrangige Hassobjekt der journalistischen Schmierfinken im Ge folge von Joseph Goebbels. Heimannsbergs brave Schupos wurden zu Weiß’schen »Bernhardinern« deklariert, und Bernhard Weiß selbst hatte schon vor Jahren den Namen »Isidor« erhalten. Joseph Goebbels höchstpersönlich hatte den Karikaturisten Hans Herbert Schweitzer – der frei nach Thors Hammer den Künstlernamen Mjölnir trug – mit den Zeichnungen für sein
Buch Isidor
beauftragt, eine Sammlung von Witzbildern, die allesamt den zum Klischee eines Juden stilisierten, spitzlippigen, großnasigen, mit einem Menjoubärtchen und dicker Hornbrille dargestellten Vizepolizeipräsidenten Bernhard Weiß aufs Korn nahmen. Weiß hatte sich mit sechzig Anzeigen gegen die Verunglimpfung gewehrt, aber gegen das Gelächter der Straße war er nicht angekommen, und den Spitznamen »Isidor« hatte er vielleicht für sein ganzes Leben angehängt bekommen.
    Unter Polizeikollegen allerdings – auch unter Nichtjuden – war der Name ein Tabu, und Belfort, dem die Schattierung in Gennats Mondgesicht offenbar nicht entgangen war, wurde für eine Sekunde puterrot, weil ihm dieser Fehler unterlaufen war. Sándor grinste hämisch, aber Gennat selbst hatte sich nicht mit dem Ausrutscher aufgehalten, sondern ruderte nun mit seinen schweren Armen in der Luft herum.
    Â»Trudchen, sei so gut, mach mal frischen Kaffee, ja? Die Herren wollen mir erzählen, was letzte Nacht in der Femina passiert ist; ich bin brennend interessiert. Haben Sie die Gasbombe selbst schon sichergestellt? Das ist wahrscheinlich ein Überbleibsel aus dem Krieg; wir werden herausfinden, in welcher Einheit das verfluchte Ding gelagert gewesen ist. Verteufeltes Pech für die acht Opfer …«
    Â»Neun, Chef, ich habe heute früh mit der Charité telefoniert«, insistierte Gertrud Steiner; Lehmann zwinkerte ihr anerkennend zu. Und »zehn« überbot sie Belfort mit tonloser Stimme, eine Gründlichkeit, die ihm ein

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